Bundesminister a.D. Thomas de Maizière diskutiert mit Dr. Martina Weyrauch über Wahlergebnisse, Werte und notwendige Veränderungen in Deutschland.
Schwungvoll betritt Dr. Thomas de Maizière die Nagelkreuzkapelle, sichtlich erfreut über die vollbesetzten Reihen mit etwa 85 Interessierten, die den Bundesminister a. D. bereits mit Spannung erwarten.
Auf welchen Werten fußt unsere Gesellschaft? Wer gibt sie vor? Wie werden sie verteidigt? Diese Fragen sollen am Dienstagabend in der Garnisonkirche Potsdam diskutiert werden. Mit dem Wahlergebnis der Landtagswahl haben sie noch einmal eine besondere Aktualität erhalten.
Es ist Thomas de Maizière ein Anliegen, zu den Wahlerfolgen der AfD und dem schlechten Abschneiden der etablierten demokratischen Parteien Stellung zu beziehen. „Die Wahlergebnisse haben eine deutsch-deutsche Komponente, aber tiefer liegt ein anderer Konflikt“, sagt er in seinem einleitenden Vortrag. „Die Welt ist in Unordnung, alte Machtgefüge zerbrechen, es gibt mehr Kriege, Klimadebatten und andere Bedrohungen.“ Ein Teil der Menschen sei bereit, die Herausforderungen anzunehmen, sich neu zu orientieren, sich einzubringen. Ein anderer Teil reagiere mit Abwehr, mit Haltungen wie: „Wir wollen mit dem Fremden, mit dieser Moderne nichts zu tun haben. Was geht uns das an?“
Kritik an übersteigerter Anspruchshaltung
Diese Spaltung, die in ganz Europa spürbar sei, sei weit gravierender als „deutsche Befindlichkeitsdebatten“, analysiert de Maizière. Denn die Abwehrhaltungen brächten die Demokratie unter Druck – weil Demokratie vom Mitmachen lebe, vom Mittun aller.
„Dieser Satz ‚Die Politik holt mich nicht ab‘ geht mir auf den Geist“, wird de Maizière deutlich. „In einer Demokratie wird man nicht abgeholt wie von einem Bus. Der Anspruch, dass die Politik liefern muss und ich auf der Couch sitzen bleiben kann, zeigt auf, dass wir uns mit unseren Wertepositionen verhakt haben.“
Immer wieder appelliert de Maizière an die Einsicht und Verantwortlichkeit des einzelnen. „Viele denken ja nicht nur: ‚Politik muss liefern‘. Sie denken sogar: ‚Meine Meinung muss geliefert werden‘.“ Doch diese Erwartung sei fehlerhaft, betont der geborene Bonner, der heute in Dresden lebt. „Demokratie funktioniert so: Die Politik muss eine Entscheidung in angemessener Zeit herbeiführen. Und hier handelt es sich um Abwägungsentscheidungen, oft auch um Kompromisse.“
Wünsche an Deutschlands Zukunft
Thomas de Maizière bemängelt aber auch anhand vieler Beispiele, dass diese politischen Prozesse in Deutschland nicht reibungslos laufen, dass Entscheidungen häufig zu lange brauchen. „Vor lauter Diskutieren und Versprechungen kommen wir nicht zu Abwägungsentscheidungen.“ Es gebe zu Recht Kritik daran, wie Demokratie in Deutschland stattfinde. „Es wird zu viel geredet und zu wenig gehandelt.“
Für Thomas de Maizière sind Strukturveränderungen unerlässlich für eine erfolgreiche Politik. Zugleich wünscht er sich „ein Land, das unterschiedliche Mentalitäten aushält in gemeinsamem Respekt vor Freiheit und Rechtsstaatlichkeit“. Und: „Ein Land, das fröhlich, zuversichtlich und nicht verunsichert ist“.
Als Beispiel dient de Maizière ein Blick in die USA. „Schauen Sie: Bei den US-Demokraten herrscht plötzlich wieder Optimismus, weil eine Frau lacht“, so de Maizière. „Wir jedoch haben einen Nebel der Mäkeligkeit über dem Land. Lachen, zuversichtlich sein und diese Aufgaben nicht allein der Politik zuschieben: Das würde helfen.“
Konkret werden, handeln, mitgestalten
Doch wie lernt man, Kontroversen auszuhalten in durchaus wünschenswerter Fröhlichkeit und Zuversicht? Das will Dr. Martina Weyrauch von der Brandenburger Landeszentrale für politische Bildung im anschließenden Gespräch mit Thomas de Maizière wissen.
Einfach sei das nicht, gibt er zu. Nicht zuletzt durch den Siegeszug des Internets hätten sich Positionen verschärft, der Ton habe sich verhärtet, die Meinungsbildung sich auf verschiedene Plattformen verteilt. „Es ist kompliziert geworden, gesamtgesellschaftliche Debatten zu führen und Dinge zu verändern“, sagt de Maizière.
Für unmöglich hält er es jedoch nicht, das wird in der Diskussion und in der abschließenden Fragerunde mit dem Publikum immer wieder deutlich. Ignorieren helfe nicht, sagt Thomas de Maizière mit Blick auf die Wahlerfolge der AfD. Er möchte um die Wähler kämpfen, die nicht gegen die Demokratie an sich sind, sondern unzufrieden damit, wie sie stattfindet. Sein Rat: konkret werden, handeln, mitgestalten. „Je mehr wir über konkrete Sachverhalte anstatt auf der Metaebene sprechen, je mehr wir anstehende Probleme lösen, desto stärker sind wir.“
Text: Beatrix Fricke