Einblicke: Projekttag zu NS-Propaganda

Der Projekttag „Glockenklang und Menschenmassen“ lädt Schulklassen dazu ein, sich mit Potsdam als Kulisse der nationalsozialistischen Diktatur auseinanderzusetzen. Was ist am 21. März vor 90 Jahren genau geschehen? Warum und wie sollte man sich daran erinnern?
Potsdam ist in Aufruhr. Im Zentrum der Stadt drängen sich Menschenmassen, Ordner können sie nur mühsam zurückhalten. Von lautem Jubel begleitet, schreitet Reichskanzler Adolf Hitler über die Breite Straße. Schnitt.
Nun fokussiert die Kamera Reichspräsident Paul von Hindenburg, der sich offenbar ebenso entschieden dem gemeinsamen Ziel nähert. Es ist die Garnisonkirche, festlich geschmückt zum Staatsakt am 21. März 1933. Es ist der Tag, der als „Tag von Potsdam“ in die Geschichte einging – als Tag, an dem die NS-Diktatur symbolträchtig etabliert und die junge republikanische Demokratie in Deutschland begraben wurde.
Der „Tag von Potsdam“ ist Thema des Projekttages, der von der Stiftung Garnisonkirche in Kooperation mit dem Potsdam Museum und dem Filmmuseum Potsdam für Schulklassen angeboten wird. 2023 jährt sich die Erinnerung an das historische Ereignis zum 90. Mal, auch daher ist das Bildungsangebot stark nachgefragt. Heute sind 16 Schülerinnen und Schüler aus dem 11. Jahrgang der Katholischen Marienschule Babelsberg dabei, die den Grundkurs Geschichte belegt haben. Um 8 Uhr morgens haben sie sich im Potsdam Museum getroffen, sieben prall gefüllte Stunden liegen vor ihnen.
Schüler hinterfragen die nationalsozialistische Inszenierung
In diesem Moment schauen die Jugendlichen im Potsdam Museum auf eine Leinwand, auf der eine Reportage zum „Tag von Potsdam“ aus der historischen „Wochenschau“ läuft, perfekt inszeniert und aufbereitet unter der Kontrolle des Reichspropagandaministeriums. Fahnen wehen, militärische Einheiten paradieren, Menschen zeigen den Hitlergruß. Der filmische Beitrag und die anschließende Diskussion darüber sind Bausteine des Projekttages, der aufklären will, was am „Tag von Potsdam“ genau passiert ist und warum das Ereignis in und um die Garnisonkirche Potsdam bis heute so bedeutend und erinnerungswürdig ist.
Nachdem die letzten Bilder über die Leinwand geflimmert, Militärmusik und Nationalhymne verklungen sind, ist es ganz still im Raum. Beate Rabe, Medienpädagogin beim Filmmuseum Potsdam, möchte von der Gruppe wissen, wie der Beitrag gewirkt hat. „Der Film sollte eindrucksvoll sein“, stellt Oriana fest. „Die Menge wirkte überenthusiastisch“, ergänzt Anton.
Timmy hat den Beitrag als „Highlight-Montage“ empfunden – insbesondere im Vergleich mit den Amateuraufnahmen, die die Gruppe ebenfalls zu sehen bekommen hat. Beate Rabe nickt. „Alles, was es für einen guten Film braucht, gab es in Potsdam mit der Ufa, der damals größten deutschen Filmproduktion, und ihren Filmstudios in Babelsberg“, erklärt sie. „Das wusste Reichspropagandaleiter Göbbels natürlich auch.“
Preußische Geschichte als Mittel der Indoktrinierung
Ein Gang durch das Potsdam Museum macht weitere Gründe deutlich, warum sich Potsdam als ideale Kulisse für den Festakt anbot. Hier lernt die Gruppe mehr über Potsdam als Residenz- und Garnisonstadt, sprich: über seine Bedeutung als Traditionsort preußischer Geschichte, an welche das NS-Regime geschickt anknüpfte, um sich zu legitimieren und wichtige Volksgruppen zu begeistern. Bei der anschließenden Quellenarbeit gehen die Schülerinnen und Schüler tiefer in die Materie.
Timmy, Georg, Vincent und Anton haben die Aufgabe, sich mit der Situation des Volkes und dem Zeitgeist am „Tag von Potsdam“ zu beschäftigen. Zielstrebig markieren die Jugendlichen Passagen in den Pressetexten, Reden und Tagebucheinträgen, die ihnen Museumspädagogin Anke Stemmann zur Verfügung gestellt hat. Anschließend präsentieren sie vor der ganzen Gruppe ihre Ergebnisse. „Die Menschen litten wirtschaftliche Not, außerdem wünschten sie sich den Glanz des Kaiserreichs zurück“, erklären die vier ihren Mitschülerinnen und Mitschülern.
Martha, die zusammen mit Leandra, Greta und Sophia die Organisation des Festaktes untersucht hat, stellt fest: „Es ist unglaublich viel Aufwand betrieben worden, um den Tag zu einem Erfolg zu machen.“ Auch die Rolle der Kirche wird genauer beleuchtet. „Die Regierung hat die Kirche als Ort für politische Zwecke genutzt“, fasst Finn die Erkenntnisse seiner Gruppe zusammen. Sie sei ein Ort gewesen, „um Kraft zu schöpfen“.
Spurensuche: Was erinnert heute noch an das historische Ereignis?
Nach einer Essenspause in der Kantine des Landtags und einer Fotorallye, bei der sich die Schülerinnen und Schüler selbst in der Kulisse des „Tags von Potsdam“ verorten und vergleichen, wie sie sich heute darstellt, geht es für den letzten Teil des Projekttages an die Stätte des epochalen Staatsaktes: zum Baufeld der Garnisonkirche an der Breiten Straße.
Seit 2017 wird die Garnisonkirche Potsdam wiederaufgebaut: äußerlich nach barockem Vorbild, innen mit einem modernen Raumkonzept und dem Ziel, als Erinnerungs- und Lernort einen Platz für die Förderung von Frieden und Demokratie zu schaffen. Auch an den „Tag von Potsdam“ soll erinnert werden – in der Bildungsarbeit, in einer Ausstellung, mit Veranstaltungen, die zum kritischen Diskurs einladen. 2024 wird der Turm der Garnisonkirche eröffnet. Bis dahin findet das Bildungsprogramm hinter dem Baufeld in der Nagelkreuzkapelle statt.
Dort erwartet Hana Hlásková, Bildungsreferentin der Stiftung, die Gruppe schon mit Saft, Keksen und Gummibärchen. Zufrieden lassen sich die Jugendlichen auf den Stühlen nieder. Doch eine Verschnaufpause gibt es nicht. „Der Projekttag soll nicht nur Wissen vermitteln, sondern die Schulklassen vor allem zum aktiven Mitdenken und Mitmachen herausfordern“, sagt Hana Hlásková.
An der Diskussion beteiligen sich alle
„Ist es notwendig, an den ‚Tag von Potsdam‘ zu erinnern?“, will Hana Hlásková vom Geschichtskurs der Marienschule wissen. Und: Ist der wiederaufgebaute Turm der Garnisonkirche ein guter Ort dafür?
Sie bittet die Jugendlichen, ihre Meinung mit Klebepunkten an einem Flipchart zu markieren. „Das Erinnern ist unnötig, wir haben andere brennende Probleme in unserer Gesellschaft“, heißt es dort. Und: „Das ist gefährlich. Die wiederaufgebaute Garnisonkirche könnte von der rechten Szene als Wallfahrtsort missbraucht werden.“ Aber auch: „Das ist sehr wichtig. Dank der Aufklärung dürfen wir das Ereignis niemals vergessen, damit es sich nicht wiederholt.“
Die Debatte zwischen den Elftklässlern kocht hoch. Meinungen prallen aufeinander, Argumente werden ausgetauscht, Sorgen und Hoffnungen formuliert. Unbeteiligt ist niemand. Lehrerin Susanne Dahlitz lächelt zufrieden. „Durch die unterschiedlichen Herangehensweisen an das Thema kommen während dieses Projekttages auch eher stillere Jugendliche aus sich heraus“, beobachtet sie. Vor allem die Einladung zum Diskutieren schätzt sie. „So eine kontroverse Auseinandersetzung bekommt man im Schulalltag nicht hin. Hier ist es anders, auch weil wir am Ort sind. Das bietet mehr als nur Theorie.“
Die Demokratie schützen – durch das Erinnern
Bei aller Meinungsvielfalt zur Frage nach einer guten Form, mit der Geschichte umzugehen – mit ihr auseinandersetzen will sich die Mehrheit. Insgesamt 13 bunte Klebepunkte finden sich an der Aussage: „Das Erinnern an den ‚Tag von Potsdam‘ fordert heraus. Wir müssen uns mit unserer, für Potsdam eben auch unschönen, Vergangenheit auseinandersetzen.“
In diesem Sinn lassen sich die Schülerinnen und Schüler auf die letzte Aufgabe ein: Sie entwerfen einen Beitrag für das soziale Netzwerk Instagram, in dem sie aufrufen, an den „Tag von Potsdam“ zu erinnern und die Demokratie in Deutschland zu schützen. So ist auf einem Post eine Zeichnung von AfD-Chefin Alice Weidel zu sehen, hinter ihr als Mahnung das Konterfei von Adolf Hitler. Ein anderer Entwurf appelliert, Kriege zu beenden und Frieden zu halten. Ein drittes Bild zeigt die Silhouette des Garnisonkirchturms. Er ragt wider das Vergessen in die Höhe und trägt den Slogan: „Never forget“.
Es sind Botschaften, die dieser Geschichtskurs in die Welt tragen wird – und Hunderte andere Jugendliche. Der vom brandenburgischen Ministerium für Bildung, Jugend und Sport (MBJS) geförderte Projekttag wurde 2023 bereits 13 Mal mit Klassen aus Potsdam und Umgebung veranstaltet. Für das Jahr 2024 gibt es schon jetzt fünf neue Anfragen.
Autorin: Beatrix Fricke
Weitere Informationen erhalten Sie hier.
Haben Sie Interesse an unseren Projekttagen? Melden Sie sich gerne bei Bildungsreferentin Hana Hlásková, bildung@garnisonkirche-potsdam.de
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