Als Kind verbrachte Erna Moskal stets ihre Sommerferien bei den Tanten in Potsdam. Später wurde die brandenburgische Hauptstadt ihre Heimat. Die heute 91-Jährige erinnert sich und erzählt von ihren Sehnsuchtsorten.
„Kommen Sie herein!“ Mit einem herzlichen Lächeln öffnet Erna Moskal ihre Wohnungstür und bittet ihre Gäste an den Esstisch im Wohnzimmer. Wortreich entschuldigt sie sich, dass dieser noch nicht als Kaffeetafel eingedeckt ist. „Ich habe bis eben fest geschlafen“, sagt sie. „Wie kann man nur so fest schlafen, mitten am Nachmittag?“
Vielleicht liegt es am Alter, welches eine Mittagsruhe einfordert. Immerhin ist Erna Moskal 91 Jahre alt. 1932 wurde sie in Stargard geboren, damals der preußischen Provinz Pommern zugehörig, heute Teil der polnischen Woiwodschaft Westpommern. 1945 kam Erna Moskal nach Potsdam, in die Stadt, der bis heute ihr Herz gehört.
Mit Potsdam verbindet die 91-Jährige ihre schönsten Kindheitserinnerungen – und ihren größten Wunsch im hohen Alter. „Ich möchte so gerne die Ausstellung im wiederaufgebauten Garnisonkirchturm besuchen“, sagt sie. Ganz bald soll ihr Wunsch in Erfüllung gehen: In diesem Jahr, im Frühsommer 2024, wird der Kirchturm samt Ausstellung, Kapelle und Aussichtsplattform eröffnet.
„Diese Kirche ist ganz wichtig für unsere Familie“
Als regelmäßige Spenderin hat Erna Moskal dazu beigetragen, dass der Turm der Garnisonkirche seit 2017 wiederaufgebaut werden konnte. „Die Garnisonkirche spielte eine große Rolle in unserer Familie“, erklärt sie ihre Verbundenheit. „Wir sind als Familie immer zum Gottesdienst in die Garnisonkirche gegangen, obwohl die Friedenskirche viel näher an unserer Wohnung lag. Wenn Menschen sagten, dass die Garnisonkirche eine Nazikirche ist, wurde mein Vater sehr wütend. Weil sie eben keine Nazikirche ist.“ Daher unterstütze sie den Wiederaufbau. „Diese Kirche ist ganz wichtig für unsere Familiengeschichte“, betont Erna Moskal.
Ihr Vater, Direktor eines pommerschen Verbands, sei von den Nationalsozialisten abgesetzt und zum Kriegsdienst verpflichtet worden, erzählt Erna Moskal, ihre Mutter mit den drei Kindern allein geblieben. Im Februar 1945 sei sie, das Nesthäkchen, mit ihrer Mutter von Königsberg nach Potsdam geflüchtet, „mit dem letzten Zug, bevor die Brücke gesprengt wurde“.
In Potsdam hätten die Großeltern und die unverheirateten Tanten gelebt. Für die damals 13-jährige Erna ein wunderbares Ziel. „Potsdam war immer mein Heiligtum“, so die heute 91-Jährige. „Jede Sommerferien war ich zu meinen geliebten Tanten gefahren, und alle meine Freundinnen haben mich beneidet. Sanssouci, das hatte einen Klang in Königsberg! Und erst Berlin! Das war unerreichbar, wie Chicago. Der Zoo, der Funkturm, und dass sich in der S-Bahn die Türen von alleine schließen. Das wollte mir zuhause niemand glauben.“
Tagebucheinträge erzählen vom Krieg
In Potsdam angekommen, erlebte das junge Mädchen aber auch dunkle Stunden – wie den Bombenangriff am 14. April 1945. Ihr Vater hielt das schicksalhafte Ereignis in seinem Tagebuch fest: „14.4.45: Angriff auf Potsdam. Wir waren alle zusammen im Keller Karlstraße 1. Die ganze Innenstadt von Potsdam wurde in Trümmer gelegt, zerstört wurden das Stadtschloss, die Kirche davor, die alte Garnisonkirche, der Bahnhof.“ Am 15.4.45 notierte er: „Mit Erna Luftschutzbunker ausgefegt“.
Ein Einschnitt war auch der Einzug der russischen Truppen, die die geflüchtete Familie aus ihrer Wohnung in der heutigen Mauerstraße vertrieben, wie Erna Moskal schildert. „Wir wurden einfach an die Luft gesetzt.“
Die Stadt Potsdam ging Erna Moskal nie aus dem Sinn
Mit der Rückkehr des Vaters aus englischer Kriegsgefangenschaft zog die Familie nach Hannover. Dort machte Erna Moskal Abitur, studierte Geisteswissenschaften und arbeitete über Jahrzehnte für die Ausbildung von Erzieher*innen in Nordrhein-Westfalen, unter anderem als Ministerialrätin und Referatsleiterin für Tageseinrichtungen für Kinder. Auch ihren Ehemann, einen Anwalt, lernte sie in Hannover kennen. Die Ehe blieb kinderlos, der Mann verstarb früh. Und so kam es, dass Erna Moskal eines Tages aus Niedersachsen wieder nach Brandenburg zog. „Alles drängte mich nach Potsdam“, sagt sie. „Und schließlich war ich immer mutig und wollte mich immer durchsetzen.“
Ganz alleine fing Erna Moskal wieder in Potsdam an. Walli und Gertrud, ihre geliebten Tanten aus Kindertagen, waren längst verstorben, sonstige Verwandtschaft oder Freunde gab es nicht. „Vielleicht war das dumm von mir, vielleicht hätte ich in Hannover bleiben sollen, wo ich Bekannte von der Arbeit hatte“, sagt sie heute. Doch hat sie in Potsdam neue Bekanntschaften geschlossen, etwa mit dem netten Junggesellen aus ihrem Wohnhaus in der Brandenburger Vorstadt, der jeden Freitag für sie einkaufen geht. Das Essen wird ihr geliefert, denn das Treppensteigen fällt der 91-Jährigen mittlerweile schwer.
Doch auch wenn Erna Moskal nicht mehr so gut in der Stadt unterwegs sein kann – ihre Sehnsuchtsorte hat sie immer im Blick. An den Wänden rund um die Kaffeetafel in ihrem gemütlichen Wohnzimmer hat sie Stiche mit Stadtansichten aufgehängt. Dort ist eine Ansicht von Königsberg zu sehen – und natürlich die Garnisonkirche Potsdam.
Text: Beatrix Fricke
Wenn auch Sie spenden möchten: Mehr Infos finden Sie unter diesem Link