Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier hielt beim Festakt zur Eröffnung der Garnisonkirche die Festrede. Hier finden Sie seine Festrede im Wortlaut.
Hell, nüchtern und modern wirkt alles hier in diesem neuen Raum. Über uns, weit in die Höhe ragend, der Turm der Garnisonkirche, der heute eröffnet wird. Er trägt eine barocke Fassade – neu wieder aufgebaut und vor allem: mit viel Geschichte beladen.
Was ich besonders schön finde: Der Turm ist bereits voller Leben. Konzerte und Gottesdienste finden schon regelmäßig statt. Das ist, wie ich meine, ein guter Anfang auf altem Grund! Ein Ort wie dieser braucht Menschen, die ihn gestalten. Er braucht Menschen, die sich mit ihm befassen, die über ihn nachdenken.
Der Weg bis zum Wiederaufbau war lang – er war kompliziert und bleibt umstritten. Es ist kein Wunder, dass wir uns damit schwergetan haben und es noch tun. Denn dieser Ort fordert uns heraus. Er konfrontiert uns mit seiner, mit unserer Geschichte.
Hier, unter dem hohen Dach des Turms, eröffnet sich uns nun ein neuer Raum, in dem wir gemeinsam über das Gestern wie das Heute und das Morgen nachdenken, streiten und arbeiten können. Zeitgleich mit dem Turm wird heute eine Ausstellung eröffnet, die von der Geschichte der Garnisonkirche erzählt. Die Gleichzeitigkeit ist wichtig, ja sie ist notwendig. Denn nur Bauwerk, Aufarbeitung und Bildungsarbeit zusammen geben uns die Chance, uns den strittigen Fragen zu stellen, neue zu entwickeln und – vor allem – Lehren zu ziehen aus der Vergangenheit dieses Ortes. Lassen Sie uns diese Chance nutzen!
Dass die Aufgabe es in sich hat, zeigt schon der kurze Blick zurück auf die vielen historischen Schichten, die hier übereinander liegen. Gerade hier werden wir schnell auf schmerzhafte, unheilvolle Teile unserer Vergangenheit gestoßen – ja, auf Wegmarken, an denen wir Deutsche den falschen Weg gewählt haben. Und wir sehen, wie der Bau in der Vergangenheit nicht trotz, sondern sogar mit Hilfe seiner religiösen Bestimmung als Ort der Macht benutzt und immer wieder politisch aufgeladen worden ist.
Die Verbindung war kein Zufall, sondern schon in der Entstehung angelegt. Die Hof- und Garnisonkirche war direkt dem König unterstellt. Und so stand sie von Anbeginn in besonderer Weise für ein Bündnis von Krone, Militär und Altar. Die Kirche, zeitweise Ruhestätte des Soldatenkönigs und Friedrichs des Großen, wurde ein zentrales Symbol für die Macht Preußens, aber auch für Militarismus und Nationalismus.
Und dieses Symbol wurde immer wieder politisch instrumentalisiert. Im Kaiserreich stellten hier ausgewählte Hof- und Garnisonprediger die Religion in den Dienst nationalistischer Propaganda, verherrlichten Krieg und bedingungslosen Gehorsam. Das Ende der Monarchie war da keine Unterbrechung; diese Kirche zog auch in der ersten deutschen Demokratie verstärkt antidemokratische Kräfte an. Gegner der neuen Republik beschworen hier einen „Geist von Potsdam“, den sie gegen den „Geist von Weimar“ in Stellung brachten. Und dann, am 21. März 1933, missbrauchten die Nationalsozialisten die Kirche für ihre Inszenierung, den sogenannten „Tag von Potsdam“, den viele heute vor allem anderen mit der Garnisonkirche verbinden. Er wurde zum Symbol einer Allianz von konservativer Tradition und Nationalsozialismus; einer Allianz, die nicht zuletzt das Ende der ersten deutschen Demokratie besiegelte.
Der furchtbare Vernichtungskrieg, in den die Nationalsozialisten die Welt stürzten, die grausamen Verbrechen, die Zerstörung und das Unheil fanden erst ein Ende, als die Alliierten Deutschland befreiten. Wenn wir von der schweren Beschädigung der Kirche im Zweiten Weltkrieg sprechen, vom zerstörten Potsdam, dann können wir das nicht tun, ohne die Ursache zu bedenken und zu benennen.
Ich benenne das alles, weil mir in der Beschäftigung mit diesem Ort eines besonders wichtig ist: dass wir Geschichte nicht beschönigen, dass wir nichts ausklammern, was unangenehm werden könnte. Das ist die historische Verantwortung, die wir haben. Und das ist die Aufgabe, die wir hier alle zusammen als Gesellschaft haben. Der wiederaufgebaute Turm ruft uns dazu auf, zu erinnern, zu differenzieren, aber keinesfalls zu vergessen.
Der Neuanfang, den unser Land – das nach dem Krieg geteilte Deutschland – nach 1945 suchte, zeigte sich auch hier, in der Ruine der Garnisonkirche. Die kleine Gemeinde, die sich in der Ruine versammelte und eine Kapelle einrichtete, fand einen neuen Namen: Heilig-Kreuz-Kirche. Der Turmstumpf sollte als Mahnmal bleiben.
Umkehr, Abgrenzung von alten Traditionen und zugleich Erhalt – das waren keine Widersprüche. Denn die Garnisonkirche, Hauptwerk des norddeutschen Barock, gehörte schon lange Zeit ins Potsdamer Stadtbild, prägte es und war lange Zeit auch Teil der Identität der Stadt und ihrer Bürgerinnen und Bürger.
Aber im Frühsommer 1968 kam die Sprengung. Sie traf viele Potsdamerinnen und Potsdamer ins Mark. Danach entstand, auch das dürfen wir nicht vergessen, an dieser Stelle ein Stück neuer Stadt, wuchs über die Jahrzehnte eine neue innerstädtische Identität, mit der sich inzwischen ebenfalls viele Bürgerinnen und Bürger identifizieren.
All dies hat dieser Ort hier im Gepäck. Kein Wunder, dass es nicht leichtgefallen ist, seine Zukunft zu gestalten. Die Idee eines Wiederaufbaus bewegt die Gemüter schon seit Jahrzehnten, und bis heute wird die Debatte darüber emotional hoch aufgeladen geführt. Noch immer wird protestiert und gestritten. Es gibt noch immer zahlreiche Wortmeldungen, Kritik genauso wie Zustimmung.
Ich möchte heute einen positiven Blick genau darauf werfen: Streit gehört zu unserer Demokratie – Demokratie braucht Kontroverse, in der wir uns ernsthaft mit der Meinung des anderen auseinandersetzen und respektvoll miteinander umgehen. Es kann ein gutes, ein sehr gutes Zeichen sein, wenn wir schwierige Fragen in unserer Gesellschaft kontrovers diskutieren, wenn wir Argumente austauschen und wägen. Denjenigen, die diese Diskussionen konstruktiv führen, bin ich dankbar.
Die Debatte um die Garnisonkirche ist Ausweis eines kritischen Geschichtsbewusstseins. Eine lebendige Erinnerungskultur gelingt dann, wenn viele Menschen ihre Perspektiven zu Gehör bringen. Die Vielzahl der Stimmen, die in unserer Demokratie Raum haben, macht uns stark. Gemeinsam handeln wir zentrale Fragen aus: Wie gehen wir mit Geschichte um? Welche und wessen Geschichten werden erzählt? Wie erinnern wir an Vergangenes? Wenn wir uns damit ernsthaft befassen, wird das unseren Blick auf die Vergangenheit weiten und schärfen – und damit auch auf unsere Gegenwart und Zukunft.
Eines ist mir dabei wichtig: Ein Ort, der nicht mehr da ist, würde das kritische Erinnern nicht leichter machen. Wir aber stellen uns heute diesen Fragen; wir blenden die Schattenseiten der Vergangenheit nicht aus, sondern wir machen sie sichtbar, um aus ihnen zu lernen.
Die Verachtung für die Demokratie und ihre Institutionen, die Faszination des Autoritären, ein übersteigerter Nationalismus – das sind nicht nur Themen von gestern, sondern sie sind erschreckend aktuell. Die neue Garnisonkirche kann ein Ort sein, an dem wir ein Bewusstsein für historische Zusammenhänge und Geschichtsdeutungen entwickeln und die preußisch-deutsche Geschichte kritisch befragen. Und mehr noch: Wir können hier auch über den Umgang mit Geschichte nachdenken.
Im Stadtbild zeigt das Ensemble von wiederaufgebautem Turm und dem angrenzenden Rechenzentrum aus DDR-Zeiten die Ambivalenzen, die zuzulassen sich lohnt. So wie der Wiederaufbau des Turmes legitim war und bleibt und der Stadt etwas Gutes hinzufügt, so sollte auch das Rechenzentrum erhalten bleiben. Beide Gebäude müssen zu einer Koexistenz finden. Spannungsreich wird sie sein, diese Koexistenz, aber sie kann die Stadt in der Auseinandersetzung mit ihren verschiedenen Vergangenheiten wieder zusammenführen. Ich wünsche mir, dass dieses Areal mit offenem Blick für unsere ganze Geschichte eine Zukunft im Dialog findet.
Austausch und Begegnung sind dafür unabdingbar. Ich bin der Stiftung Garnisonkirche Potsdam und dem Netzwerk Nagelkreuzgemeinde dankbar, dass sie auch den internationalen Dialog zu ihrem zentralen Anliegen gemacht haben. „Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens“ – so ist es in fünf Sprachen im Sockel des Turms zu lesen.
Dieser Ort soll weltoffen sein, soll Menschen ins Gespräch bringen. Ich bin zuversichtlich, dass das gelingen kann, und ich danke der Stiftung und dem Netzwerk für ihr großes Engagement und den Mut, ein so schwieriges Projekt anzugehen. Mein Dank gilt auch dem wissenschaftlichen Beirat und dessen Vorsitzenden Professor Paul Nolte, der das Vorhaben gleichzeitig kritisch und fördernd begleitet und die Stiftung bei wichtigen Fragen beraten hat. Vielen herzlichen Dank dafür!
Zu denen, die dieses höchst anspruchsvolle Projekt mit Klugheit und Einsicht, mit historischem Bewusstsein, Geduld und Zuversicht, nicht zuletzt mit großer Menschenfreundlichkeit auf den richtigen Weg gebracht haben, zählt Wolfgang Huber. Lieber Wolfgang Huber, ohne Sie wären wir heute nicht hier.
In der Vergangenheit hat es Versuche gegeben, einen Wiederaufbau im Zeichen geschichtsrevisionistischer Positionen zu betreiben. Auch heute noch gibt es den Versuch, die neue Garnisonkirche dafür zu vereinnahmen. Ich sage es ganz klar: Wir dürfen die Deutung nicht denjenigen überlassen, die den Bau für ihre demokratiefeindlichen Interessen benutzen wollen. Die neue Garnisonkirche ist kein Ort der Verehrung von Militarismus, Nationalismus und Obrigkeitsstaat. Das darf sie nicht sein! Im Gegenteil: Die neue Garnisonkirche erinnert uns daran, welches Unheil nationale Raserei, Rassenwahn und Eroberungspolitik über Deutschland und Europa gebracht haben. Jedem Versuch, deutsche Verantwortung zu leugnen, unsere Erinnerungskultur als Schuldkult zu diskreditieren, stellen wir uns entschieden entgegen. Ich sage bewusst: wir!
Denn hier unter dem hohen Kirchturm wird es in Zukunft auf uns alle ankommen. Darauf, dass wir genau hinsehen, weiter viele Fragen stellen und vor kontroversen Debatten nicht zurückschrecken. Aber auch darauf, dass wir uns mit Offenheit begegnen und einander zuhören. Das ist auch mein Wunsch und meine Hoffnung.
Dieser Turm, das wiedererrichtete Herzstück der einstigen Garnisonkirche, ist die Chance, den vielen historischen Schichten eine neue, eine hellere, moderne Schicht hinzuzufügen. Lassen Sie uns zusammen daran arbeiten, dass dieser Ort etwas wird, was er über lange Strecken nicht war: ein Ort der Demokratie!
Herzlichen Dank.