02/26/2018 | "Nie wieder!"

Zum 75. Jahrestag der Beisetzung von Hans und Sophie Scholl am 24. Februar 2018 (Predigttext 2. Mose, 1, 8-20) Von Angelika Weller-Eylert.

Liebe Nagelkreuz-Gemeinde,

heute vor genau 75 Jahren, wurden auf dem Friedhof in München-Perlach Sophie und Hans Scholl beigesetzt. Nur zwei Tage zuvor waren sie wegen ihres Widerstandes gegen das Nazi-Regime zum Tode verurteilt und sofort hingerichtet worden, durch das Fallbeil. Sophie war 21 Jahre alt, ihr Bruder Hans knapp 25. Beide waren in einem pazifistischen  Elternhaus an verschiedenen Orten Württembergs aufgewachsen. Der Medizinstudent Hans und seine Schwester Sophie, die Philosophie und Biologie studierte, waren Mitglieder der Weißen Rose. Gemeinsam mit anderen bekämpften sie aus dem Untergrund die Hitlerdiktatur mit Flugblättern – und gemeinsam bezahlten sie mit ihrem Leben dafür.

Es kann durchaus verschiedene Meinungen geben zu politischem Widerstand, aber dass solch ein Verbrechen gegen die Menschheit, erst recht gegen die Menschlichkeit, beim Namen genannt gehört, darüber sollten wir uns einig sein. Und auch darüber, dass das Ziel dieses beim-Namen-Nennen nur ein Nicht-vergessen-dürfen und das Eintreten für ein entschiedenes „Nie wieder!“ sein kann... Übrigens: Von den fünf Kindern der Familie Scholl überlebten nur zwei den 2. Weltkrieg; außer Sophie und Hans kehrte auch der jüngste Sohn nicht heim: er starb an der Ostfront.

Der heutige Predigttext mag Zeichen setzen und Richtung weisen, indem er uns, ähnlich wie das Erinnern an die Geschwister Scholl, Widerstand vor Augen führt. Die beiden hebräischen Hebammen, deren Geschichte wir gleich hören werden, haben in der christl. Tradition und Schriftauslegung wenig Beachtung gefunden. Schifra und Pua? Ganz neu für Sie? Nicht verwunderlich, denn sie teilen das Schicksal so vieler Frauen, die nicht der Rede wert, schon gar nicht einer Predigt wert, galten. Das mag zwei Gründe haben: den einen, weil sie eben nun mal keine Kirchengeschichte-schreibenden Männer waren und zum anderen leisteten Shifra und Pua Widerstand, subversiven Widerstand gegen die Staatsgewalt, etwas, worüber man bei uns jahrhundertelang nicht gern sprach – .

Aber: sprechen wir heute mal über diese ganz alte Geschichte und hören zuerst auf die Verse 8 - 20 aus dem 2. Buch Mose, Kapitel 1
(Lesung aus Luther 2017).

 

Herr über Leben und Tod möchte der Pharao sein und alles in seiner Hand haben, in den Griff bekommen, auch das wachsende Volk der jüdischen Fremdarbeiter in seinem Land, dessen Zahl immer größer und dessen Kultur immer prägender wird. Dessen Aufgaben immer wichtiger werden, wobei zugleich die Menschen dahinter immer gefährlicher werden, zumal für einen machtbesessenen Diktator, der hinter jeder Haustür Verrat und Revolution wittert. Angst und Hass stecken ja hinter den Befehlen und Machtansprüchen so manches Größenwahnsinnigen. Und mögliche Feinde „auszuschalten“ ist ein beliebtes Mittel zu allen Zeiten gewesen...

So lässt der Pharao die fremden Hebammen zu sich kommen und befiehlt ihnen, schmutzige Arbeit zu tun und alle männlichen Neugeborenen ihres Volkes sofort nach der Geburt zu töten. „Aber die Hebammen fürchteten Gott und taten nicht, wie ihnen der König gesagt hatte...“ Schifra und Pua tun einfach nicht, was der Pharao von ihnen will, sie verweigern dem todbringenden Befehl ihren Gehorsam und leisten zivilen Ungehorsam. Im Namen des Lebens lassen sie sich nicht zu Handlangerinnen des Todes machen. Sie bleiben durch ihren Widerstand Torhüterinnen am Eingang zum Leben, werden Helferinnen Gottes, der Kraft, die Leben nicht nur schenkt, sondern auch erhalten will.
Weil sie an Gott glauben, stehen Schifra und Pua auf der Seite der Unterdrückten und Bedrohten, kommen damit aber in Konflikt mit den Ansprüchen der Mächtigen.

Der kompromisslose Einsatz für das Leben wird in jeder Gesellschaft immer Konsequenzen haben, erst recht in einer Gesellschaft mit todbringenden Strukturen.
Prompt lässt der Pharao die Hebammen nochmals „bitten“ und stellt sie zur Rede: „Warum lasst ihr die Kinder leben?“
Das soll eine ernst-gemeinte Frage sein?! Ausgerechnet so eine Frage an zwei Frauen, deren Beruf es ist, zum Leben zu verhelfen? –
Die Perversion ist nicht zu überbieten!

Die Frage, die hier zu stellen wäre, müsste heißen: „Warum um alles in der Welt sollten neugeborene, gesunde, lebens-fähige Kinder getötet werden?“ 
Schifra und Pua sind klug genug, diese Frage so nicht zu stellen, schon gar nicht laut, in der Öffentlichkeit des hohen Herrscherhauses. Denn: bei all ihrer inneren Sicherheit sind sie äußerlich abhängige Frauen.

Sie wissen sehr wohl zu entscheiden, wann sie was auf’s Spiel setzen können oder damit sich, und womöglich andere, schlicht nur in Gefahr bringen würden. Wem würde es denn nützen, wenn der Pharao sie wegen Befehlsverweigerung umbringen ließe, durch’s Fallbeil zum Beispiel, oder mit welchem Todes-instrument auch immer?! Es brächte doch reineweg gar nichts, sich aufzubäumen, ihre Macht dagegen und ihr Können zur Schau zu stellen.

Klare Kante zu zeigen ist hier nicht angebracht, ihr Widerstand muss verhaltener, subtiler daher kommen. Ja, Ironie und leiser Spott schwingen mit, wenn sie dem Pharao antworten: „Die hebräischen Frauen sind kräftig, sie haben schon geboren, wenn wir kommen...“ Damit nehmen die Hebammen ihre eigene Wichtigkeit zurück: nach außen hin sagen sie: „es geht auch ohne uns“ und wissen tief innen dabei ganz genau „ohne uns geht hier gar nichts gut aus..“

Die Ehrfurcht vor Gott ist es, die den beiden Hebammen die Angst vor den Todesstrukturen nahm und die Kraft zum Widerstand gab. Denn Gott will nicht, dass seine Menschen vom Tod bedroht werden oder gar mutwillig in den Tod geschickt werden.

Deutlich vielschichtiger und undurchsichtiger ist es geworden, mit den Pharaos dieser Welt: sie machen ihre tod-bringenden Befehle längst nicht mehr so deutlich kund, so dass man/frau sie leicht entlarven könnte. Da muss schon genauer hingeschaut und hingehorcht, mitgefühlt und mitgedacht werden, Informationen auf verschiedenen Kanälen eingeholt und beobachtet werden. Dann aber kann offenkundig werden, was heute das Leben bedroht, behindert, einschränkt und zerstört: durch Verteil-Probleme mit dem Lebensnotwendigsten, fehlende medizinische Versorgung, ungleiche Bildungs-Chancen, Export und Anhäufung von Waffen und daraus resultierende Kriege...

Es braucht unseren Mut, Unrecht zu benennen und einzustehen für das Leben, wo Menschenrechte mit Füßen getreten, ausländer-feindliches Verhalten gezeigt oder neo-nazistische Parolen laut werden. Wir können von Schifra und Pua lernen, von ihrer Schlauheit und ihrem kompromißlosen Einsatz gegen den Tod.

Durch alle Zeiten hindurch folgten ihrem Beispiel bis zum heutigen Tag all die Menschen, die sich zusammenschließen oder einzeln tapfer gegen Unmensch-lichkeit, Ungerechtigkeit und Lebensbedrohung Widerstand leisten. Wir kennen viele: Sophie und Hans Scholl, unser Beispiel vom Anfang natürlich.

Aus der Zeit meiner eigenen politischen Bewusstwerdung fallen mir dazuhin
Martin Luther King und Rosa Parks ein;
• dann die Frauen in den 70-er Jahren mit ihrem Boykott „Kauft keine Früchte der Apartheid“ = der ersten Protest-Aktion, an der ich als junge Frau teilnahm;
• die sogenannten „Mütter in weiß“ in Lateinamerika, die für ihre (angeblich spurlos) verschwundenen Männer und Söhne demonstrieren
• und die Eltern a.d.Pazifikinseln, die der Weltöffentlichkeit ihre mißgestalteten Babys hinhielten und forderten „testet eure Atomwaffen woanders“ = beide Gruppen lernte ich über den WGT kennen;
• meine Patentochter Margit Miya mit ihrem mutigen privat-initiierten und privat-finanzierten Straßenkinder-Projekt in Ruanda;
• die GTO = German Toilet Organisation, über die ich am 19. November, dem Welttoilettentag, erstmals einen Beitrag sah: die kämpfen für das universelle Recht auf Sanitärversorgung und sagen völlig zu Recht „Klos sind die beste Gesundheits-Prävention“;
• der „march of hope“ von der „women-wage-peace“-Bewegung in Israel und Palästina, an die wir im Friedensgebet neulich erinnerten
• oder Peter Steudtner aus Berlin und und und.

Sie und viele Ungenannte stehen auf und kämpfen für das Leben.

Schifra und Pua, ihrer beider Namen heißen übrigens „Schönheit“ und „Glanz“, verschwinden nach dieser einen Notiz aus dem Blickfeld biblischer Überlieferung. Wir wissen nicht, wie ihr weiteres Leben verlief und was aus ihrem Widerstand erwuchs, ob es z.B. Nachfolgerinnen gab.

Von Sophie und Hans Scholls Widerstand wissen wir, dass sie den mit ihrem Leben bezahlen mussten: dieser Preis war zu hoch, eindeutig, und verpflichtet darum uns Heutige erst recht.

Ich weiß, dass das nicht leicht ist und „siehe, mein Mut ist klein“ (was wir gleich singen werden) ist oft genug auch meine Ausrede. Dennoch wären für mich so manche Preise denkbar, die zu zahlen ich durchaus in der Lage wäre, die mir etwas von meiner Bequemlichkeit, meinem Überfluss, meinem Lebensstandard nähmen, mich aber keineswegs mein Leben kosten würden.
Ich müsste nur öfter dran denken, und mich wachrütteln lassen durch Schönheit und Glanz von Schifra und Pua oder durch den Mut und die Entschlossenheit von Sophie und Hans Scholl.

Es geht um nichts Geringeres, als dass Gott uns braucht, damit sein Reich Wirklichkeit werden kann in dieser - unserer und seiner - Welt. Amen.


Diese Predigt basiert in ihrer Grund-Idee und etlichen Formulierungen auf einer Predigt von Pastorin Christine Erb-Kanzleiter, München, die sie vor 25 Jahren hielt und mir zur Verfügung stellte, wofür ihr ausdrücklich gedankt wird!

 

 

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