POTSDAM – Seit Jahren sammeln Stiftungen für einen Wiederaufbau der 1968 gesprengten Kirche. Die Gegner eines Wiederaufbaus der Potsdamer Garnisonkirche wollen nun wissen, ob die Potsdamer Bevölkerung dieses Projekt überhaupt unterstützt. In nur zwei Wochen haben sie 4 000 Unterschriften gesammelt.
Es ist nur ein kleiner Stand, aber er löst große Gefühle aus. „Die Garnisonkirche gehört zur Potsdamer Geschichte!“, ruft eine junge, sichtlich erboste Frau den beiden Männern hinter dem Tischchen auf dem Bürgersteig zu. „Das können Sie nicht einfach verleugnen“, fügt sie energisch hinzu, schwingt sich auf ihr Fahrrad und braust davon. Beinahe hätte sie die blaue Klapptafel umgerissen, auf der steht: „Jetzt unterschreiben – für ein Potsdam ohne Garnisonkirche.“
Die Bürgerinitiative mit diesem Anliegen hat ihren einzigen Stand in Potsdams zentraler Kaufmeile, der Brandenburger Straße. Sie würden öfter beschimpft, sagt einer der beiden Unterschriftensammler. Er wirkt gelassen. Das Thema Wiederaufbau der Garnisonkirche polarisiert die Landeshauptstadt seit mehr als zwei Jahrzehnten. Doch erstmals formiert sich der Protest dagegen auch außerhalb eines Kreises von Aktivisten der Off-Kulturszene, der Linken und der Kommunalpartei Die Anderen.
Das Bürgerbegehren braucht in einer ersten Stufe 13 500 Unterschriften. Ein Jahr lang hätte man für die Sammlung Zeit. Doch schon nach gut zwei Wochen haben mehr als 4 000 Menschen unterschrieben. Es sieht so aus, als würde diese Hürde locker genommen.
Ein bisschen wie Platzeck
Simon Wohlfahrt hat seinen Arbeitsplatz gegenüber der repräsentativen Staatskanzlei Brandenburgs in der Heinrich-Mann-Allee. Der 29-Jährige ist einer der Ansprechpartner des Bürgerbegehrens. Er studiert Geoökologie in Potsdam und jobbt beim Naturschutzfonds, einer Landesstiftung. Es geht um Krötentunnel, Sandrasen, Mitmach-Wald. „Ich bin ein Projekttyp“, sagt Wohlfahrt. Er trägt Kapuzenjacke und Bartansatz. Man muss unwillkürlich an den jungen Matthias Platzeck denken, als der Umweltaktivist in den 80er Jahren war und für Potsdams Stadtentwicklung kämpfte. Platzeck ist heute einer der Befürworter der Garnisonkirche, er sitzt im Kuratorium der Stiftung.
Wohlfahrt ist strikt gegen den Wiederaufbau. „Ich habe das Projekt nie verstanden“, sagt er. „Warum will man eine Militärkirche wiederaufbauen, für 100 Millionen Euro?“ Er hält die Sache für ein Elitenprojekt, bei dem die Bürger der Stadt nie nach ihrer Meinung gefragt worden seien. Das Stadtparlament beschloss 2008 den Wiederaufbau und brachte das Grundstück an der Breiten Straße ins Stiftungsvermögen ein. Zuerst sollte der Bau aus Spenden realisiert werden, im vorigen Jahr sagte der Bund aber zwölf Millionen Euro zu, sobald die Finanzierung stehe. Trotz der kontroversen Debatte über die vom Soldatenkönig erbaute, von Hitler am „Tag von Potsdam“ benutzte, im Krieg ausgebrannte und von Ulbricht gesprengte Kirche gab es nie eine Bürgerbefragung. Beim Landtagsschloss holte die Stadt ein Meinungsbild über den Standort ein.
„Wir wollen wissen, ob die Potsdamer Bevölkerung dieses Projekt überhaupt unterstützt“, sagt Wohlfahrt. Da Bürgerbegehren in Brandenburg, anders als in Berlin, sich nicht gegen Bauleitplanungen richten dürfen, sammelt die Initiative jetzt Unterschriften dafür, dass Potsdam die Auflösung der Garnisonkirchen-Stiftung betreiben soll. Praktisch bedeutet das nicht viel, denn die Stadt ist im Kuratorium, einem ausschließlich von Männern aus Politik und Kirche besetzten Gremium, in der Minderheit. Dennoch ist Gegnern wie Befürwortern klar, dass es hier um die Frage geht, ob die Potsdamer die Garnisonkirche haben wollen oder nicht.
Sollte es ein negatives Votum geben, müsste die Stadt damit umgehen, sagt Stefan Schulz, Sprecher von Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD). Jakobs plädiert für den Wiederaufbau eines „der schönsten Barockgebäude Deutschlands“, wie es stets heißt. Aber auch der Oberbürgermeister räumt ein, dass man diese Frage anders sehen kann. Zumal die Stiftung zwar Baurecht auf dem Grundstück hat, aber keine Finanzierung. Gut 40 Millionen Euro soll der erste Bauabschnitt kosten: der 90 Meter hohe Turm mit Seitenkapellen, aber ohne Kirchenschiff. Das von der Stiftung in zehn Jahren gesammelte Spendengeld von 6,5 Millionen Euro ist für Planung, Bauvorbereitung, eine hölzerne Kapelle und die für Anfang Mai geplante Aufstellung der wiederhergestellten Wetterfahne bereits ausgegeben.
Zusätzlich zu den zwölf Millionen Euro aus dem Etat der Bundeskulturstaatsministerin Monika Grütters braucht die Stiftung noch 28 Millionen Euro. „Wir prüfen derzeit den Finanzierungsplan“, sagt Stiftungssprecherin Friederike Schuppan. Man sei im Gespräch mit Großspendern. Am Zeitplan einer Einweihung des Turms im Jahr 2017, zum 500. Jubiläum der Reformation, halte man fest, sagt Schuppan. (Berliner Zeitung, 07.04.2014, von Jan Thomsen)