Gut gemeint, dabei aber auch etwas seltsam mutete die letzte von vier Gedenkveranstaltungen zum Thema „Bücherverbrennung“ der Nationalsozialisten am Mittwoch schon an. Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky, Anna Seghers, Alfred Kerr und viele andere wurden in den vergangenen Wochen in der Kapelle der Garnisonkirche bereits zitiert und gelesen. Klaus Büstrin, einer der Initiatoren dieses Eingedenkens, meinte, man müsse zu diesem Thema auch mal „die Linken“ an diesem Ort zu Wort kommen lassen.
Unter dem Titel „Wir wollen wachen in der Nacht“ erinnerten die Schauspielerin Simone Kabst und die Flötistin Birgitta Winkler in der gutbesuchten Kapelle an den achtzigsten Jahrestag dieses symbolisch gemeinten Ereignisses am 10. Mai, dem Tag der Bücherverbrennung. Solcherart Aktionen waren in der Geschichte gar nicht selten: Paracelsus verbrannte Werke von Galen in Basel, Luther die päpstliche Bulle und anderes, beim Wartburgfest der Burschenschaften 1817 landeten fünfundzwanzig Titel vom „Code Napoleon“ bis zu Kotzebue auf dem Scheiterhaufen. Selbst heute soll es ja irgendwo in der Welt wieder Bibelverbrennungen geben – auch das gehört zum gut gemeinten Thema dazu.
Für den Potsdamer Behuf und im Auftrag der Stiftung Garnisonkirche hatten Pfarrerin Juliane Rumpel und Klaus Büstrin sechs Verfemte des „Dritten Reichs“ ausgewählt, alles Könner der lyrischen Zunft, nicht einmal durchweg politisch. Konzeptionell ließ man sie allein durch ihre Werke sprechen, die Qualität sollte wirken und überzeugen.
Else Lasker-Schüler zum Beispiel dichtete sich einfach ihre Verwundungen von der Seele, wenn sie sich als Verscheuchte ihres Liebsten wusste und um Versöhnung flehte. Weltflucht zuletzt. Auch Rose Ausländer wusste viel von der Solitüde. Bei ihr ging alles durch sie selber hindurch, das Leben, die Sprache, die Fragen, die Suche nach Identität. Bertolt Brecht, der sich als „einer der Besten“ wähnte, hatte solche Sorgen nicht. Seine deutsche Mutter war klassenbewusst, sein Geist war ein Kind der kalten Frau Ratio, da bleibt nie etwas unklar.
Wie unschuldig dagegen die hübschen Gedichte von Joachim Ringelnatz, dem Seefahrer, der vom armen Kraut und den Ameisen dichtet. Natürlich durfte Paul Celan mit seiner „Todesfuge“ nicht fehlen. Darin heißt es bekanntlich, der Tod sei ein Meister aus Deutschland. Heinrich Heine nach ihm, damit „Lyrisches & Musik“ nicht allzu bitter ende, schließlich wusste man sich ja an einem Ort der Versöhnlichkeit. Also liebte ein Jüngling ein Mädchen, wurde Gott im „Hohelied“ für den wohlgeformten Körper des Weibes bedankt und gepriesen. Die Veranstaltung war gar nicht mal lang, nur eine gute, eine gut gemeinte Stunde.
Simone Kabst las betont schnörkellos, mit leicht gebremster Emotion, fast immer sachlich. Ob im „Dritten Reich“ neben der Wahrheit freilich auch Freude und Liebe verboten waren, wie sie behauptete, bleibt dahingestellt.
Umrahmt wurden die einzelnen Autorenparts durch Paul Hindemiths meisterhaftes Opus „Acht Stücke für Flöte allein“ von 1927. Dessen Partikel waren nun ganz extrem kurz. Der gebürtige Hanauer, auch ein Verfemter, gab die Gesamtlänge mit nicht mal acht Minuten an. Leider war niemand auf die Idee gekommen, dieses kaum bekannte Kompositiönchen am Anfang oder am Ende des Abends einmal ganz durchspielen zu lassen, die angebotene „Salami-Technik“ wollte ja ein Gesamtbild nicht geben.
Wer nach diesem nicht ganz runden „Leseabend mit Musik“ noch bleiben und vielleicht reden wollte, ward freundlichst eingeladen zu Wasser, Brot und Wein. (PNN vom 26.04.2013, von Gerold Paul)