Von der Explosion zur Heilung
Das Bündnis Potsdamer Mitte zeigte einen Film über die Zerstörung der Garnisonkirche – und warb für den Wiederaufbau.
Das hätte Walter Ulbricht wohl ziemlich geärgert: Im ungemütlichen Nieselregen, und dennoch völlig freiwillig, machten sich am Freitagabend schätzungsweise 200 Menschen auf zum Standort der einstigen Garnisonkirche in der Breiten Straße – um sich auf einer Leinwand unter freiem Himmel anzuschauen, wie Ulbricht Ende der 1960er-Jahre den Abriss der Potsdamer Garnisonkirche betrieb. Das Bündnis Potsdamer Mitte hatte zu dieser kostenlosen cineastischen Zeitreise eingeladen. Im Dunkel des Abends war das Portal des Langen Stalls, unmittelbar neben dem früheren Kirchenstandort, stimmungsvoll angestrahlt: Einzelne Elemente der Fassade leuchteten in einem anheimelnden Rotton. Dazu verbreiteten lodernde Holzscheite in Feuerkörben wohlige Wärme. Wer sich ihnen zu sehr näherte, ging bisweilen wieder auf Abstand – so intensiv war ihre Wirkung.
Die Hauptattraktion des Abends war jedoch ein Film, der den Niedergang der Garnisonkirche nachzeichnet. Unter einem bunten Meer von Regenschirmen – mitten in der Filmvorführung hörte es dann doch noch auf zu regnen – sahen die Gäste den 1992 vom früheren Defa-Dokumentarfilmer Kurt Tetzlaff gedrehten Streifen „Die Garnisonkirche – Protokoll einer Zerstörung“. Die filmische Dokumentation beginnt mit einer grummelnden Explosion. Zu sehen ist, wie 1968 der Turm des einst von Philipp Gerlach entworfenen und 1732 geweihten Sakralbaus in sich zusammenstürzt. Die DDR hatte den im Krieg bekanntlich schwer geschädigten Turm sprengen lassen – auf Wunsch des damaligen Chefs des Zentralkomitees der SED und damit mächtigstem Mann der DDR, Walter Ulbricht.
Einige Protagonisten von 1968 kommen in Tetzlaffs Film immer wieder zu Wort. Besonders interessant ist Brunhilde Hanke, die damalige Oberbürgermeisterin Potsdams. „Das wird dir noch mal schwer auf die Füße fallen“, habe ihr Mann einmal zu ihr gesagt, bekennt sie sichtlich ergriffen vor der Kamera. Und weiter: „Es gibt nur eine Antwort: Man hätte Nein sagen müssen.“ Als die bürokratische Abrissmaschinerie ins Rollen kam, habe sie sich anfangs zaghaft dagegen gewehrt, schließlich jedoch der von ganz oben verordneten Linie nachgegeben. Einer der vier Stadtverordneten, die am 26. April 1968 tatsächlich Nein sagten und damit gegen den Abriss stimmten, war Gebhard Falk. Er befand sich am Freitag, ebenso wie Regisseur Tetzlaff, unter den Gästen der Veranstaltung. „Mein Gewissen hat mich gezwungen“, erläuterte Falk seine damalige Motivation, die Hand gegen den Kulturfrevel zu erheben.
Auch einen Mitschnitt des letzten Gottesdienstes vom 2. Mai 1968 in der Heilig-Kreuz-Kapelle, die sich im Turmstumpf des zerstörten Gotteshauses befand, konnte Tetzlaff für seinen Film auftreiben. Ein letzter Choral, ein allerletztes Vaterunser-Gebet, dann musste die Gemeinde das Gotteshaus an den Staat zum Zwecke der Zerstörung herausgeben. Der Potsdamer Manfred Krause war an jenem Tag unter den Gottesdienstbesuchern. Auf dem Filmabend erinnerte er sich an seine damalige Gemütslage: „Ein sehr schmerzliches Gefühl“ sei es gewesen. Krause, damals Wehrdienstleistender, gehörte gar nicht zur Gemeinde, erfuhr jedoch von dem Gottesdienst. Da habe er sich gesagt: „Da musst du hingehen, das ist der letzte Gottesdienst, bevor die Kirche gesprengt wird.“
Zu Beginn des Filmabends warb Barbara Kuster, Sprecherin des Bündnisses Potsdamer Mitte, für den heftig umstrittenen Wiederaufbau. Auf der Leinwand zeigte sie alte Straßenansichten und kommentierte: „Ich weiß auch, dass das nie wieder kommen wird. Aber wir können heilen.“ (Potsdamer Neueste Nachrichten, 29.09.2014, von Hoger Catenhusen)