POTSDAM – Die Garnisonkirche ein offenes Buch? Ausgemessen Länge mal Breite, sowohl in inhaltlicher als auch in baulicher Hinsicht? Nicht ganz. Denn nach wie vor gibt es weiße Flecken in der Aufarbeitungshistorie des zerstörten Gotteshauses. „Richtig interessant wäre es, wenn einmal jemand die Predigten der Pfarrer an der Garnisonkirche durcharbeiten würde“, erklärte Kirchenhistoriker Andreas Kitschke am Mittwochabend in der Kapelle am Baugrundstück der Garnisonkirche an der Breiten Straße.
Spannend, so Kitschke, sei zum Beispiel die Frage, warum der Soldatenkönig einen ungarischen Prediger, den er eigens für die ungarischen Soldaten im Preußenheer bestellt hatte, kurzerhand „feuerte“. „Möglicherweise hatte der Kirchenmann den König kritisiert“, mutmaßt Kitschke. Die Lösung für all diese Fragen könnte im Domstiftsarchiv Brandenburg schlummern; harrt aber nach wie vor der Erforschung.
Immerhin: Generell ist man in der Aufarbeitung in den letzten Jahren einen riesigen Sprung vorwärts gekommen. Am Mittwoch referierte Archivleiter Uwe Czubatynski in der Garnisonkirchenausstellung über „Das Findbuch zu den Akten der Garnisonkirche“. Die Publikation fußt auf den Akten des Pfarrarchivs Garnisonkirche, die bis 1992 im kreiskirchlichen Archiv an der Potsdamer Erlöserkirche in der Nansenstraße lagerten. Nach dem Tod des Archivars übersiedelten alle Bestände ins Domstift – darunter auch die teilweise jahrhundertealten Dokumente über die Garnisonkirche: „Sie enthalten Unterlagen zur Militärgemeinde, zur Zivilgemeinde und zum Gebäude der Garnisonkirche und umfassen 6,5 laufende Meter mit 510 Akteneinheiten aus dem Zeitraum vom 1613 bis 1986“, erklärt Archivar Czubatynski. In den Jahren 2003/04 wurden die Akten erschlossen; getrennt nach Militär- und Zivilgemeinde, die parallel an der Garnisonkirche existierten.
Kirchenhistoriker Kitschke ist mit den Unterlagen noch aus ihren Potsdamer Zeiten vertraut, als er regelmäßig zu Recherchen für seine Publikationen in die Nansenstraße pilgerte. Manchmal fühlte es sich fast surreal an, was er da in Händen halten durfte: Ein Reglement vom 2. Januar 1722 zum Beispiel, mit genauen Anweisungen, wie Gottesdienste an der Garnisonkirche zu halten seien. Der Soldatenkönig höchstselbst hatte dafür zum Federkiel gegriffen, abenteuerliche Orthographie inklusive. Pro Jahr „acht Mahll“ sei für die Reformierten das „abentmahll“ zu halten. Die Lutheraner sollten hingegen alle „sontage“ und Festtage zum Abendmahlsgottesdienst kommen. Bis zur Union von Lutheranern und Reformierten im Jahr 1817 existierten beide Konfessionen in Potsdam. Zu den prominentesten Reformierten, die einer betont schlicht gehaltenen Glaubensausübung anhängen, gehörte auch die Herrscherfamilie.
Preußisch-korrekt und vorbildlich eingeheftet seien die Akten der Garnisonkirche geführt worden, betont Czubatynski. Den akribischen Archivaren sei Dank, erhalten die Nachgeborenen ein breites Bild vom Kirchenleben durch die Jahrhunderte: Seien es die Konfirmationsfotos aus der Zwischenkriegszeit, die ernst blickende, im schwarzen Festtagsstaat gekleidete Teenager zeigen. Oder die Verzeichnisse der sogenannten „Luisen-Hochzeiten“: Eheschließungen von Paaren, die wenig gut betucht waren, wurden mit Geldern aus einer Stiftung zum Angedenken an die verblichene, hochverehrte Preußenkönigin gefördert.
Weil erfahrungsgemäß auch in so manchem Privathaushalt noch Zeitzeugnisse über die Garnisonkirche vererbt worden sind, hofft die Fördergesellschaft Wiederaufbau Garnisonkirche (FWG) nun auf Mithelfer, die ihr Wissen beisteuern, sagte FWG-Mitarbeiter Michael Kreutzer am Mittwoch. (MAZ vom 7.4.2012, Von Ildiko Röd)