Das Aufwachsen des Neubaus am Alten Markt scheint in vielen Menschen einen starken Klärungsbedarf hervorzurufen. So ist vielleicht das große Interesse erklärbar, das eine Diskussion von Hartmut Dorgerloh, Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, und dem Historiker Martin Sabrow am Donnerstagabend fand. Der Kinosaal im Filmmuseum war mit hundert Personen fast gefüllt und alle lauschten andächtig, was vorn gesagt wurde. „Von Preußen bis zum Landtagsneubau“ lautete das Thema.
Überkommt den Generaldirektor ein „Zauber“, wenn er das Wachsen des Landtagsschlosses am Alten Markt erlebt? Dorgerloh antwortet auf diese Frage des Moderators Markus Heidmeier vom Deutschlandradio Kultur gelassen. Auf jeden Fall werde der Neubau „das Ankommen in Potsdam verändern“. „Ich vertraue auf die Dinge, die wir haben“, sagt er auf die geplanten barocken Leitbauten in der Stadtmitte angesprochen. Acht Häuser sind es, deren historisches Äußeres als Leitbauten in der Innenstadt definiert worden sind. Investoren sollen sich bei Neubauten daran orientieren.
Sabrow, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF), bekennt: „Mich überkommt der Zauber schon“: Das Parlament in einem monarchistischen Gebäude. Er bezweifele, dass das rekonstruierte Schloss den „Mythos Preußen“ manifestieren werde, wie manche fürchten. Darin sind sich Historiker und Denkmalschützer offenbar einig. Dorgerloh: „Wir können keinen Mythos kreieren, der nicht mehr da ist.“ Daher sehe er auch ungern Pickelhauben und Lange Kerls am Grabe Friedrichs des Großen.
„Warum wollen die Leute das?“, fragt Dorgerloh zur historisierenden Architektur. Bekommt Potsdam mit Stadtschloss, Garnisonkirche und Leitbauten laut Heidmeier gar eine „barocke Schlagseite“? Soll die Vergangenheit architektonisch überbrückt werden? Wäre die Vergangenheit mit dem Handschlag von Hindenburg und Hitler ein Grund, die Garnisonkirche nicht wieder aufzubauen? Die Antworten fallen nicht weniger kompliziert aus als die Fragen. Ja, es gebe einen Drang nach Heilung, meint Dorgerloh. Die Zerstörung historischer Originale hinterlasse ein Gefühl, dass etwas verlorengegangen sei. Es sei nicht infrage zu stellen, dass bestimmt Bauwerke zur Identifikation einer Stadt gehören, so der Historiker. „In der Vergangenheit sehen viele etwas, wie sie sich früher die Zukunft vorgestellt hätten“, philosophiert Sabrow. Und dann komme der Begriff des Schönen noch hinzu. Laut Dorgerloh habe die Rekonstruktion mit ästhetischem Empfinden und Proportionen zu tun, auch wenn vielleicht am Ende die Erkenntnis stehe: „Das hat früher viel schöner ausgesehen.“ Natürlich sei es ein Risiko, eine Kopie ins Stadtzentrum zu setzen. Aber: „Mal sehen, wie es aussieht, wenn es fertig ist.“
Auf jeden Fall müssten die Umbrüche bei einer Rekonstruktion erkennbar bleiben. Am neuen Schoss sollten daher die historischen Spuren zu sehen sein, fordert Sabrow. „Auch das Rechenzentrum an der Breiten Straße muss in Teilen erhalten bleiben, wenn wir die Garnisonkirche wieder haben wollen“, meint er. Der Schlösserchef sieht manches lockerer. So kann er sich als Attikafiguren auf dem Schloss statt der Original-Bildwerke Skulpturen vorstellen, die Bezug auf die im Landtag vertretenen Regionen Brandenburgs nehmen. Immerhin wird der Teil des Schlosses, der an den Alten Markt grenzt, komplett in Form des früheren Stadtschlosses an dieser Stelle aufgebaut. Auch die Fassade wird historisierend, während es im Inneren und auf der Hofseite Abweichungen zum Original geben wird.
Auf die Abschlussfrage des Moderators, wie er abgestimmt hätte, wenn er als Landtagsabgeordneter über den Wiederaufbau des Stadtschlosses zu entscheiden gehabt hätte, antwortet Dorgerloh: „Ich hätte nicht den Mut gehabt, für einen Nachbau zu stimmen.“ (PNN vom 20.08.2011, von Günter Schenke)