2017 soll das umstrittene Wahrzeichen wieder stehen. Ein Zeitzeuge erinnert sich.
Gebhard Falk war damals nicht einmal halb so alt wie heute. Doch der 85-Jährige erinnert sich noch an fast jedes Detail an jenem Morgen des 26. April 1968. Der damalige Abgeordnete der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands, LDPD, hatte gerade seinen Platz in der ersten Reihe der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung eingenommen, da wurde der Zusatz-Tagesordnungspunkt bekannt gegeben. “Dass an diesem Tag der Abriss der Garnisonkirche besiegelt werden sollte, ging aus der Einladung nicht hervor”, sagt Falk rückblickend. Der Stadtrat für Verkehr, Helmuth Klünder (CDU), ließ an jenem Morgen allerdings keinen Zweifel daran, dass die DDR-Oberen ernst machen wollten. Die Kirche, so trug er vor, enge die Wilhelm-Külz-Straße ein und störe die geplante einheitliche Gestaltung zur sozialistischen Magistrale. Wegen des schwierigen Baugrundes müsse auch die Heiztrasse dort verlaufen, wo der Turm steht.
“Ich tue mich eigentlich schwer mit dem Neinsagen”, sagt Gebhard Falk heute. “Es entspricht nicht meinem Charakter, auf die Barrikaden zu gehen.” Doch der Archivar und evangelische Christ sah sich damals “zu einer Stellungnahme moralisch verpflichtet”. Als Vorsitzender der “Ständigen Kommission Kultur” hatte er laut Geschäftsordnung Rederecht. “Wir sind im Begriff, einen Beschluss von sehr hoher Tragweite zu fassen und ich möchte bewusst hier noch einmal sprechen, damit es nicht hinterher heißt, wir haben nicht gewusst, worum es geht”, begann Falk an jenen Morgen 1968 sein Plädoyer. Der damals 40-Jährige sprach frei und war ziemlich aufgeregt.
Nach der baugeschichtlichen Bedeutung der Kirche und des Turms ging Gebhard Falk über zum Tag von Potsdam – als die Nationalsozialisten am 21. März 1933 die Kirche für ihre Zwecke nutzten, um den neuen Reichskanzler Adolf Hitler im Schulterschluss mit dem konservativen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zu zeigen. “Diese Kirche ist schwer belastet durch das, was in der Vergangenheit hier stattgefunden hat, und keiner wünscht sich jemals wieder ein Zurückversetzen in Preußentum und Monarchie, in Faschismus und Diktatur”, sagte Falk in seiner Rede. “Ich glaube aber, dass es heute keinen Grund dafür gibt, die Kirche als Baudenkmal – und das ist wirklich ein international entscheidendes Objekt – dafür zu bestrafen, für das, was in ihr stattgefunden hat.” Im Gegenteil, so Falk weiter. “Es lässt sich nirgends besser der verbrecherische Charakter des Faschismus all den Touristen, die nach Potsdam kommen, beweisen, als dass man ihnen das vorführt, was an dieser Stätte, von der der Faschismus seinen Ausgang genommen hatte, geschehen ist.” Der Abgeordnete der Blockpartei konnte mit seiner mutigen Rede den Beschluss nicht verhindern. 84 Abgeordnete stimmten am 26. April 1968 für den Abriss der Kirche, vier dagegen. Zwei kamen aus der LDPD und zwei aus der CDU. 32 der 120 Abgeordneten waren zu Hause geblieben.
Für den Archivar im Brandenburgischen Staatsarchiv und Vater von fünf Kindern hatte seine Widerrede keine Konsequenzen. Er sei lediglich von meinem Parteivorsitzenden gemaßregelt worden, erinnert sich Falk. “Die SED war froh, dass sie den Beschluss durch hatte und wollte kein Aufsehen mehr erregen.”
Die Gerüchte, dass die Kirche weg sollte, hatten schon Monate vorher für Unruhe gesorgt. Doch selbst als sich bei einer Baustellenbegehung in Anwesenheit von Kirchengemeinde-Vertretern ein Mann mit “Guten Tag, ich bin der Sprengmeister” vorstellte, wiegelten die Verantwortlichen ab. Dabei war das Todesurteil für die Kirche längst gesprochen, weiß Falk heute. Der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht soll schon vorher bei einer Stadtrundfahrt im Auto mit dem Architekten gesagt haben: “Diese Kirche muss weg.” Ulbricht war wegen des Generalverkehrsplans nach Potsdam gekommen. Dieser sah nicht nur den Ausbau der Wilhelm-Külz-Straße (heute wieder Breite Straße) vor, im Holländischen Viertel sollten Hochhäuser gebaut werden.
Kurze Zeit nach dem “demokratisch” eingeholten Beschluss wurde zunächst die Ruine des Kirchenschiffs gesprengt. Am 19. Juni 1968 rückte ein Sprengtrupp der Berliner Abteilung des VEB Spezialbaukombinats Verkehrsbau Magdeburg an. Doch nur eine Seite des Turms rutschte ab. König Friedrich Wilhelm I. von Preußen, der die Garnisonkirche von 1730 bis 1735 für die Angehörigen des Hofstaats und der Garnison errichten ließ, hatte nach einem ersten Einsturz des Turms das Fundament in dem sumpfigen Boden stark verankern lassen. So hielt es gar einer Sprengung drei Jahrhunderte später stand. Vier Tage nach dem ersten Versuch machte die Sprengfirma am 23. Juni 1968 den Turm der Garnisonkirche dem Erdboden gleich. Gebhard Falk brachte es nicht übers Herz, dabei zuzuschauen.
Vorbild Dresdner Frauenkirche
36 Jahre später, im Jahr 2004, saß Gebhard Falk im wiedervereinigten Deutschland auf Einladung des Potsdamer Industrieclubs in der Villa Arnim, in der Nähe von Günther Jauch und dessen Frau. “Das ist so, wie wenn man einem Schwerverletzten den Todesstoß gibt, statt ihm zu helfen”, kommentierte der Wahl-Potsdamer und TV-Moderator Jauch damals die Sprengung. An einem Februarabend 2004 gründete sich kurz danach die Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche e.V. (FWG). Ihr Zweck ist die Förderung des Wiederaufbaus und der Erhaltung – nach dem Vorbild der Dresdner Frauenkirche. Am 15. Januar desselben Jahres unterzeichneten bereits mehr als 100 Persönlichkeiten aus Brandenburg und Berlin den “Ruf aus Potsdam” zum vollständigen Wiederaufbau. Schirmherren wurden der damalige Bischof Wolfgang Huber, der damalige Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und der frühere Innenminister Jörg Schönbohm (CDU).
Schon kurz nach 1990 hatte es eine erste Initiative gegeben. Deren Vorstellungen passen bis heute nicht mit denen der evangelischen Kirche zusammen. Der gebürtige Spandauer und Oberstleutnant der Bundeswehr, Max Klaar, wollte die Garnisonkirche im Sinne der Wiederbelegung preußischer Traditionen aufbauen, nicht als Mahnmal und Versöhnungskirche. 1740 wurde Friedrich Wilhelm I. in der Gruft der Garnisonkirche bestattet. 1786 auch sein Sohn Friedrich II. Hitler ließ die Särge 1942 vor der Roten Armee in Sicherheit bringen.
Bereits 1984 hatte Klaar in Iserlohn die “Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel e.V.” gegründet. Er ließ das seit dem Bombenangriff 1945 verstummte Glockenspiel der Kirche neu anfertigen. Seit April 1991 steht die Nachbildung mit 40 Glocken auf der Potsdamer Plantage. Zu jeder vollen Stunde erklingt seither die Melodie “Lobe den Herrn” und zu jeder halben Stunde das Lied “Üb immer Treu und Redlichkeit”. Nicht im alten Ton und nicht mit den einstigen Inschriften. Die Inschriften der Glocken sind ein Sammelsurium von Stiftern, Militäreinheiten und den zehn Geboten, kritisieren nicht nur die Gegner des Garnisonkirchen-Wiederaufbaus.
Der Ex-Offizier Klaar sammelte bundesweit mehr als sechs Millionen Euro für das Projekt. Das Geld steckt inzwischen in der Stiftung “Preußisches Kulturerbe”. Bislang weigert er sich, die Spenden für den Baustart herzugeben. Die im Juni 2008 gegründete Potsdamer Stiftung unter dem Kuratoriumsvorsitzenden Altbischof Wolfgang Huber bräuchte aber dringend noch Geld. Damit die Bauarbeiten in diesem Jahr wie geplant beginnen können, sind weitere Spenden nötig. Der Bund hat bislang zwölf Millionen Euro zugesagt. Die Kosten für den Wiederaufbau werden auf rund 100 Millionen Euro geschätzt. Allein in die Kapelle und den Turm, die bis 2017 fertig sein sollen, sollen rund 40 Millionen Euro fließen. “Etwa 6,5 Millionen Euro sind bislang zusammengekommen”, sagt Stiftungsvorstand Martin Vogel. Die Werner-Siemens-Stiftung hat für den Wiederaufbau der Garnisonkirche eine Million Euro gespendet. Allein über die Ziegelspenden sind es pro Jahr rund 20.000 Euro. Etwa 2300 Ziegel sind laut Stiftung seit 2007 verkauft worden.
Der Widerstand wird größer
Schon vor mehr als neun Jahren wurde aus Anlass des 60. Gedenktages des Bombenangriffs auf Potsdam am 14. April 1945 der Grundstein für die Kirche gelegt. Seit Juli 2013 liegt der Stiftung unter Altbischof Huber die Baugenehmigung für den Turm vor. Je näher der Baubeginn rückt, desto größer wird der Widerstand. Die Initiative “Ein Potsdam ohne Garnisonkirche” sammelt seit 22. März Unterschriften für ein Bürgerbegehren. Sie fordert die Auflösung der Stiftung. Dann würde das kostenlose Baugrundstück an die Stadt zurückfallen. “Die Garnisonkirche war bereits lange vor dem Tag von Potsdam am 21. März 1933, was sie noch heute ist: ein Symbol des militaristischen Staates Preußen, ein Symbol für Militarismus und Krieg”, heißt es auf einer Internetseite der Initiative. Der Potsdamer Historiker Andreas Kitschke warnt die Gegner davor, sich ungewollt ausgerechnet die Argumente der Nazis zu eigen zu machen. “Die Nationalsozialisten unter Hitler haben die Bekanntheit der Kirche genutzt, um die Menschen auf ihre Seite zu ziehen”, sagt er. “Angeblich wollte er damit an die preußischen Tugenden anknüpfen. Preußen war ein toleranter Staat, Garnisonkirchen gab es in jeder größeren deutschen Stadt, in der Militär stationiert war.” Richtig sei allerdings: “Keine andere Kirche in Deutschland ist in so zwiespältiger Weise bekannt, ja berühmt geworden”, sagt Kitschke. “Noch heute gilt die Garnisonkirche für die einen als Symbol der Verbindung von Thron und Altar, von Militarismus und Nationalsozialismus, für die anderen als eine der reizvollsten Schöpfungen des preußischen Barocks und städtebauliche Meisterleistung ersten Ranges.”
Andreas Kitschke war 13 Jahre alt, als die Garnisonkirche gesprengt wurde. Der Bundesverdienstkreuz-Träger ist für ihren Wiederaufbau – nicht nur als Mahnung, auch zur Heilung des Stadtbildes. “Potsdams historische Mitte würde durch die Garnisonkirche wieder hergestellt”, sagt auch Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD). “Schon im Oktober 1990 haben die Stadtverordneten die Wiederannäherung an den historischen Stadtgrund- und aufriss beschlossen.”
Für Gebhard Falk, dem einstigen mutigen Redner, ginge ein großer Wunsch in Erfüllung – “nachdem ich die Sprengung vor 46 Jahren nicht verhindern konnte”. Der bald 86-Jährige lächelt und sagt: “Ich hoffe, dass ich wenigstens den Turm noch einmal sehen kann.” (Berliner Morgenpost, 20.04.2014, von Gudrun Mallwitz)