08/01/2014 | Hitler, DDR-Erbe und die Religion spalten Potsdam

Der Streit über den Wiederaufbau der Garnisonkirche, wo die Nazis Preußen vereinnahmten, zeigt die Zerrissenheit der Stadt zwischen SED-Nostalgikern und zugezogenen Westlern. Die Politik kapituliert.

Dies ist keine Posse. Auch wenn es nach Posse aussah, was am Mittwoch in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung passierte. Aber der Streit über den Wiederaufbau der Garnisonkirche ist eine Auseinandersetzung über Grundsatzfragen, die sowohl Brandenburg als auch die Gesamtgesellschaft betreffen. Deshalb sei die Stadtverordnetenversammlung der brandenburgischen Landeshauptstadt erst einmal zurückgestellt.

Die erste Grundsatzfrage ist die nach der Sichtbarkeit von Religion. Fast 90 Meter hoch war der Turm der barocken Garnisonkirche, die 1735 auf Befehl des preußischen Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. errichtet wurde und die Potsdamer Silhouette gut 200 Jahre lang religiös prägte. Bis 1968 die Überreste der im Zweiten Weltkrieg stark zerstörten Kirche vom SED-Regime der DDR gesprengt wurden.

Ganz neu sichtbar gemacht würde das Christentum durch die Wiedererrichtung der Kirche. Dafür setzt sich seit 2008 die kirchliche Stiftung Garnisonkirche Potsdam ein. In ihrem Kuratorium sind unter anderem die Evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg und die EKD vertreten, genauso die Stadt Potsdam und das Land Brandenburg.

Potsdam ist weithin religionslos

Kuratoriumsvorsitzender ist der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Altbischof Wolfgang Huber, zu den Unterstützern zählen Altbundespräsident Richard von Weizsäcker und der frühere brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD). Neben dem Einsatz für Kunst und Kultur, Toleranz und Völkerverständigung hat sich die Stiftung auch die Förderung von Religion zum Ziel gesetzt.

Doch hiergegen hat sich in Potsdam, einer in DDR-Zeit weithin entkirchlichten Stadt mit einem Protestantenanteil von heute 15 Prozent, eine Initiative “Für ein Potsdam ohne Garnisonkirche” gebildet. Die Initiative sieht an diesem Ort keinen Bedarf für einen Sakralraum. Sie sammelte bei einem Bürgerbegehren in der 160.000-Einwohner-Stadt 14.285 Stimmen, die eine Auflösung jener Stiftung fordern.

Hitler vereinnahmte hier Preußen

Noch mehr aber als um die Sichtbarkeit von Religion geht es um den Umgang mit vergifteter deutscher Geschichte. Denn in der Garnisonkirche, die im 19. Jahrhundert zu einem Zentralsymbol des preußischen Staates wurde, vereinnahmten die Nationalsozialisten eben dieses Preußen.

Am “Tag von Potsdam”, dem 21. März 1933, reichten Adolf Hitler und Reichspräsident Paul von Hindenburg hier einander feierlich die Hände. Hochsymbolisch wurde damit ein Bündnis geschlossen, mit dem die Nazis die preußische Militärtradition in den Dienst an Vernichtungskriegen zwangen.

Die Stiftung für die Wiedererrichtung will diese Geschichte durch Ausstellungen, Diskussionen und eine Versöhnungskapelle im Turm kritisch aufarbeiten und zum Frieden in Freiheit beitragen. Das aber, so meinen die Gegner, könne durch den Wiederaufbau gerade nicht erreicht werden. Vielmehr solle ein “Symbol von Macht-, Kriegs- und Herrschaftsromantik” entstehen.

Zugezogene gegen Alteingesessene

Der Begriff “Romantik” führt dabei zum nächsten Konflikt, der hinter dem Streit steckt. Der ist ein spezifisch Brandenburgischer und hat viel mit der DDR sowie den Wandlungsprozessen im Berliner Speckgürtel zu tun. Denn die Kritiker des Projekts haben den Verdacht, dass es beim Wiederaufbau um einen schönen Schein gehe, um eine romantisch-historisierende Idyllisierung, die schon beim Wiederaufbau des als Landtag genutzten Stadtschlosses betrieben worden sei und den eingesessenen Bewohnern oktroyiert werde – von Zugezogenen.

Potsdam ist eine gespaltene Stadt. Was daran liegt, dass es von allen Städten Ostdeutschlands am stärksten wächst. Binnen sechs Jahren gewann die Stadt mehr als 10.000 Einwohner hinzu. Hierzu trugen sowohl die vielen Studenten bei – insgesamt rund 24.000 – als auch viele junge Familien mit Bindung ans nahe Berlin. Diese Familien haben sich vor allem im Stadtteil Babelsberg angesiedelt, dem “Prenzlauer Berg von Potsdam”.

Altbewohner halten jene Zugezogenen für Latte Macchiato trinkende Grünen-Wähler mit eigenem Haus und amerikanischem Van, die ihren Nachwuchs im kirchlichen Kindergarten anmelden. Nicht von hier ist auch die Spitze der Stadtverwaltung. Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) wuchs in Niedersachsen auf und begann seine Verwaltungskarriere in Spandau, im tiefsten Westen Berlins.

DDR-Nostalgiker gegen neue Elite

Innerhalb Potsdams lässt sich von einer informellen Demarkationslinie sprechen. Die vor allem aus Westdeutschland Zugezogenen leben im Norden der Stadt, die Altbewohner meist im Süden. Im Süden ist der Anteil der Senioren hoch, genauso der von Linke-Wählern. Die Linke, die bei der Kommunalwahl mit 25 Prozent stärkste Partei in der Gesamtstadt wurde, holte im südlichen Wahlkreis sechs nicht weniger als 41 Prozent.

So stößt in Potsdam, wo einst unter anderem die Juristische Hochschule der DDR-Staatssicherheit beheimatet war, die alte Nomenklatura der Diktatur auf die neue Elite der Demokratie und der Marktwirtschaft, also auf die gut verdienenden Neubürger aus dem Westen. Die verschiedenen Milieus existieren getrennt voneinander.

In Teilen der Stadt halten alte Stasi-Leute und SED-Genossen einander die Treue, während in Babelsberg, wo nicht wenige katholische Neubürger leben, für die Fronleichnamsprozession die Straße gesperrt wird. Und jetzt wollen, so mutmaßen viele Alteingesessene, auch noch die evangelischen Zugezogenen die Garnisonkirche wiedererrichten.

Paradoxer Beschluss des Stadtparlaments

Doch das Bürgerbegehren gegen die Kirche, also für die Auflösung der Wiederaufbaustiftung – nun zum kuriosen Teil – geriet am Mittwoch in der Stadtverordnetenversammlung auf eine seltsame Bahn. An sich war zu vermuten, dass nach der Sitzung ein Bürgerentscheid folgen müsse, zeitgleich mit der Landtagswahl am 14. September.

Denn beim Bürgerbegehren war das erforderliche Quorum der Unterschriften satt erfüllt worden, und weil die Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung für den Wiederaufbau ist, hätten die Parlamentarier gegen das Begehren stimmen und damit zwangsläufig den Bürgerentscheid herbeiführen müssen.

Doch die Mehrheitsfraktionen – die “Potsdamer Kooperation” aus SPD, CDU, Grünen und unabhängigen Demokraten – enthielten sich komplett der Stimme. So fielen 28 von 39 Stimmen aus. Blieben elf übrig. Und da gab es plötzlich eine Mehrheit für das Bürgerbegehren. Weil nämlich die acht Abgeordneten der Linkspartei, die den Wiederaufbau seit jeher ablehnt, konsequenterweise für das Begehren stimmten.

Oberbürgermeister in der Zwickmühle

Ergo: Bürgerbegehren angenommen, Bürgerentscheid nicht mehr nötig. Und das heißt, dass nun die Stadt Potsdam in Gestalt ihres Oberbürgermeisters versuchen muss, im Sinne des Bürgerbegehrens jene Stiftung aufzulösen. Deren Zweck aber der OB unterstützt und der die Stadt selbst angehört.

Ein solches Auflösungsbestreben hält die Stadt schon aus kommunalrechtlichen Gründen für kaum möglich. Und selbst wenn der Vertreter der Stadt im Kuratorium der Stiftung den Antrag auf deren Auflösung stellen würde, käme gegen die anderen Vertreter dort niemals die erforderliche Dreiviertelmehrheit zustande. Faktisch können somit die Bemühungen um den Wiederaufbau der Garnisonkirche weitergehen.

Doch die Kritiker des Projekts glauben, dass dieses gerade jetzt zum Scheitern verurteilt ist. Am Mittwoch habe sich gezeigt, dass die kirchliche Stiftung “nicht nur 14.285 Stimmen aus Potsdam gegen sich” habe, “sondern auch ein Stadtparlament”, sagte der Sprecher der Gegeninitiative, Simon Wohlfahrt.

Jetzt kommt es auf die Spender an

Und Lutz Boede, Geschäftsführer der linksalternativen Stadtratsfraktion “Die Andere”, die den Wiederaufbau ebenfalls ablehnt, vermutet ein finanzielles Scheitern der Wiederaufbaustiftung. Denn die ist auf Spender angewiesen. Dass es nun aber in der Stadt keine Mehrheit für das Projekt gebe, sei, so Boede, “ein starkes Signal an die Spender”. Nämlich, dass sich Spenden nicht lohnen würden.

Tatsächlich fehlen der Stiftung noch 20 Millionen Euro an Spenden, um nur den Turm bauen zu können. 41 Millionen sind dafür nötig – der Rest der Kirche ist noch nicht in konkreter Planung –, aber eingesammelt wurden bisher nur 21 Millionen, darunter elf Millionen, die der Bund zugesagt hat.

Die Stiftung aber gibt nicht auf, will jedoch nicht in eine Haltung des Trotzes verfallen. Er habe “Respekt” vor der Entscheidung des Stadtparlaments, sagte der Verwaltungsvorstand der Stiftung, Peter Leinemann der “Welt”.

 

Stiftung sucht den Dialog

Selbstkritisch gab Leinemann zu, “dass es uns bisher nicht gelungen ist, unser Anliegen hinreichend deutlich zu machen und genügend auf die Kritiker einzugehen”. Die Stiftung habe “Fehler gemacht, und das müssen wir eingestehen”.

Leinemann aber hält den Wiederaufbau gerade wegen des Konflikts für geboten. In dem Streit sei sichtbar geworden, “wie viele Grundsatzkonflikte es in dieser Stadt gibt und wie wichtig es ist, diese im offenen Dialog auszutragen”.

Hierfür sei kein Ort geeigneter als die Kirche, an der sich die Konflikte nun entzündeten. “Der Turm würde eine nutzbare Fläche von 1200 Quadratmetern bieten, auf denen in Ausstellungen, Diskussionen und auch der Kapelle genau das thematisiert werden kann, was diese Stadt umtreibt.” Leinemann: “In den Dienst an diesen Diskussionen wollen wir das Projekt stellen.” (Die Welt, 01.08.2014, von Matthias Kamann)

Hitler, DDR-Erbe und die Religion spalten Potsdam

Der Streit über den Wiederaufbau der Garnisonkirche, wo die Nazis Preußen vereinnahmten, zeigt die Zerrissenheit der Stadt zwischen SED-Nostalgikern und zugezogenen Westlern. Die Politik kapituliert.

Dies ist keine Posse. Auch wenn es nach Posse aussah, was am Mittwoch in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung passierte. Aber der Streit über den Wiederaufbau der Garnisonkirche ist eine Auseinandersetzung über Grundsatzfragen, die sowohl Brandenburg als auch die Gesamtgesellschaft betreffen. Deshalb sei die Stadtverordnetenversammlung der brandenburgischen Landeshauptstadt erst einmal zurückgestellt.

Die erste Grundsatzfrage ist die nach der Sichtbarkeit von Religion. Fast 90 Meter hoch war der Turm der barocken Garnisonkirche, die 1735 auf Befehl des preußischen Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. errichtet wurde und die Potsdamer Silhouette gut 200 Jahre lang religiös prägte. Bis 1968 die Überreste der im Zweiten Weltkrieg stark zerstörten Kirche vom SED-Regime der DDR gesprengt wurden.

Ganz neu sichtbar gemacht würde das Christentum durch die Wiedererrichtung der Kirche. Dafür setzt sich seit 2008 die kirchliche Stiftung Garnisonkirche Potsdam ein. In ihrem Kuratorium sind unter anderem die Evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg und die EKD vertreten, genauso die Stadt Potsdam und das Land Brandenburg.

Potsdam ist weithin religionslos

Kuratoriumsvorsitzender ist der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Altbischof Wolfgang Huber, zu den Unterstützern zählen Altbundespräsident Richard von Weizsäcker und der frühere brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD). Neben dem Einsatz für Kunst und Kultur, Toleranz und Völkerverständigung hat sich die Stiftung auch die Förderung von Religion zum Ziel gesetzt.

Doch hiergegen hat sich in Potsdam, einer in DDR-Zeit weithin entkirchlichten Stadt mit einem Protestantenanteil von heute 15 Prozent, eine Initiative “Für ein Potsdam ohne Garnisonkirche” gebildet. Die Initiative sieht an diesem Ort keinen Bedarf für einen Sakralraum. Sie sammelte bei einem Bürgerbegehren in der 160.000-Einwohner-Stadt 14.285 Stimmen, die eine Auflösung jener Stiftung fordern.

Hitler vereinnahmte hier Preußen

Noch mehr aber als um die Sichtbarkeit von Religion geht es um den Umgang mit vergifteter deutscher Geschichte. Denn in der Garnisonkirche, die im 19. Jahrhundert zu einem Zentralsymbol des preußischen Staates wurde, vereinnahmten die Nationalsozialisten eben dieses Preußen.

Am “Tag von Potsdam”, dem 21. März 1933, reichten Adolf Hitler und Reichspräsident Paul von Hindenburg hier einander feierlich die Hände. Hochsymbolisch wurde damit ein Bündnis geschlossen, mit dem die Nazis die preußische Militärtradition in den Dienst an Vernichtungskriegen zwangen.

Die Stiftung für die Wiedererrichtung will diese Geschichte durch Ausstellungen, Diskussionen und eine Versöhnungskapelle im Turm kritisch aufarbeiten und zum Frieden in Freiheit beitragen. Das aber, so meinen die Gegner, könne durch den Wiederaufbau gerade nicht erreicht werden. Vielmehr solle ein “Symbol von Macht-, Kriegs- und Herrschaftsromantik” entstehen.

Zugezogene gegen Alteingesessene

Der Begriff “Romantik” führt dabei zum nächsten Konflikt, der hinter dem Streit steckt. Der ist ein spezifisch Brandenburgischer und hat viel mit der DDR sowie den Wandlungsprozessen im Berliner Speckgürtel zu tun. Denn die Kritiker des Projekts haben den Verdacht, dass es beim Wiederaufbau um einen schönen Schein gehe, um eine romantisch-historisierende Idyllisierung, die schon beim Wiederaufbau des als Landtag genutzten Stadtschlosses betrieben worden sei und den eingesessenen Bewohnern oktroyiert werde – von Zugezogenen.

Potsdam ist eine gespaltene Stadt. Was daran liegt, dass es von allen Städten Ostdeutschlands am stärksten wächst. Binnen sechs Jahren gewann die Stadt mehr als 10.000 Einwohner hinzu. Hierzu trugen sowohl die vielen Studenten bei – insgesamt rund 24.000 – als auch viele junge Familien mit Bindung ans nahe Berlin. Diese Familien haben sich vor allem im Stadtteil Babelsberg angesiedelt, dem “Prenzlauer Berg von Potsdam”.

Altbewohner halten jene Zugezogenen für Latte Macchiato trinkende Grünen-Wähler mit eigenem Haus und amerikanischem Van, die ihren Nachwuchs im kirchlichen Kindergarten anmelden. Nicht von hier ist auch die Spitze der Stadtverwaltung. Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) wuchs in Niedersachsen auf und begann seine Verwaltungskarriere in Spandau, im tiefsten Westen Berlins.

DDR-Nostalgiker gegen neue Elite

Innerhalb Potsdams lässt sich von einer informellen Demarkationslinie sprechen. Die vor allem aus Westdeutschland Zugezogenen leben im Norden der Stadt, die Altbewohner meist im Süden. Im Süden ist der Anteil der Senioren hoch, genauso der von Linke-Wählern. Die Linke, die bei der Kommunalwahl mit 25 Prozent stärkste Partei in der Gesamtstadt wurde, holte im südlichen Wahlkreis sechs nicht weniger als 41 Prozent.

So stößt in Potsdam, wo einst unter anderem die Juristische Hochschule der DDR-Staatssicherheit beheimatet war, die alte Nomenklatura der Diktatur auf die neue Elite der Demokratie und der Marktwirtschaft, also auf die gut verdienenden Neubürger aus dem Westen. Die verschiedenen Milieus existieren getrennt voneinander.

In Teilen der Stadt halten alte Stasi-Leute und SED-Genossen einander die Treue, während in Babelsberg, wo nicht wenige katholische Neubürger leben, für die Fronleichnamsprozession die Straße gesperrt wird. Und jetzt wollen, so mutmaßen viele Alteingesessene, auch noch die evangelischen Zugezogenen die Garnisonkirche wiedererrichten.

Paradoxer Beschluss des Stadtparlaments

Doch das Bürgerbegehren gegen die Kirche, also für die Auflösung der Wiederaufbaustiftung – nun zum kuriosen Teil – geriet am Mittwoch in der Stadtverordnetenversammlung auf eine seltsame Bahn. An sich war zu vermuten, dass nach der Sitzung ein Bürgerentscheid folgen müsse, zeitgleich mit der Landtagswahl am 14. September.

Denn beim Bürgerbegehren war das erforderliche Quorum der Unterschriften satt erfüllt worden, und weil die Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung für den Wiederaufbau ist, hätten die Parlamentarier gegen das Begehren stimmen und damit zwangsläufig den Bürgerentscheid herbeiführen müssen.

Doch die Mehrheitsfraktionen – die “Potsdamer Kooperation” aus SPD, CDU, Grünen und unabhängigen Demokraten – enthielten sich komplett der Stimme. So fielen 28 von 39 Stimmen aus. Blieben elf übrig. Und da gab es plötzlich eine Mehrheit für das Bürgerbegehren. Weil nämlich die acht Abgeordneten der Linkspartei, die den Wiederaufbau seit jeher ablehnt, konsequenterweise für das Begehren stimmten.

Oberbürgermeister in der Zwickmühle

Ergo: Bürgerbegehren angenommen, Bürgerentscheid nicht mehr nötig. Und das heißt, dass nun die Stadt Potsdam in Gestalt ihres Oberbürgermeisters versuchen muss, im Sinne des Bürgerbegehrens jene Stiftung aufzulösen. Deren Zweck aber der OB unterstützt und der die Stadt selbst angehört.

Ein solches Auflösungsbestreben hält die Stadt schon aus kommunalrechtlichen Gründen für kaum möglich. Und selbst wenn der Vertreter der Stadt im Kuratorium der Stiftung den Antrag auf deren Auflösung stellen würde, käme gegen die anderen Vertreter dort niemals die erforderliche Dreiviertelmehrheit zustande. Faktisch können somit die Bemühungen um den Wiederaufbau der Garnisonkirche weitergehen.

Doch die Kritiker des Projekts glauben, dass dieses gerade jetzt zum Scheitern verurteilt ist. Am Mittwoch habe sich gezeigt, dass die kirchliche Stiftung “nicht nur 14.285 Stimmen aus Potsdam gegen sich” habe, “sondern auch ein Stadtparlament”, sagte der Sprecher der Gegeninitiative, Simon Wohlfahrt.

Jetzt kommt es auf die Spender an

Und Lutz Boede, Geschäftsführer der linksalternativen Stadtratsfraktion “Die Andere”, die den Wiederaufbau ebenfalls ablehnt, vermutet ein finanzielles Scheitern der Wiederaufbaustiftung. Denn die ist auf Spender angewiesen. Dass es nun aber in der Stadt keine Mehrheit für das Projekt gebe, sei, so Boede, “ein starkes Signal an die Spender”. Nämlich, dass sich Spenden nicht lohnen würden.

Tatsächlich fehlen der Stiftung noch 20 Millionen Euro an Spenden, um nur den Turm bauen zu können. 41 Millionen sind dafür nötig – der Rest der Kirche ist noch nicht in konkreter Planung –, aber eingesammelt wurden bisher nur 21 Millionen, darunter elf Millionen, die der Bund zugesagt hat.

Die Stiftung aber gibt nicht auf, will jedoch nicht in eine Haltung des Trotzes verfallen. Er habe “Respekt” vor der Entscheidung des Stadtparlaments, sagte der Verwaltungsvorstand der Stiftung, Peter Leinemann der “Welt”.

 

Stiftung sucht den Dialog

Selbstkritisch gab Leinemann zu, “dass es uns bisher nicht gelungen ist, unser Anliegen hinreichend deutlich zu machen und genügend auf die Kritiker einzugehen”. Die Stiftung habe “Fehler gemacht, und das müssen wir eingestehen”.

Leinemann aber hält den Wiederaufbau gerade wegen des Konflikts für geboten. In dem Streit sei sichtbar geworden, “wie viele Grundsatzkonflikte es in dieser Stadt gibt und wie wichtig es ist, diese im offenen Dialog auszutragen”.

Hierfür sei kein Ort geeigneter als die Kirche, an der sich die Konflikte nun entzündeten. “Der Turm würde eine nutzbare Fläche von 1200 Quadratmetern bieten, auf denen in Ausstellungen, Diskussionen und auch der Kapelle genau das thematisiert werden kann, was diese Stadt umtreibt.” Leinemann: “In den Dienst an diesen Diskussionen wollen wir das Projekt stellen.” (Die Welt, 01.08.2014, von Matthias Kamann)

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