Innenstadt – Der Pianist Werner Scholl hatte auf dem Yamaha-Keyboard die Glockenspiel-Klänge der Garnisonkirche imitiert und begann mit dem Orgelspiel, als ein junger Mann protestierend in die Kapelle an der Breiten Straße eindrang und Flugblätter warf. „Gegen die Lüge vom Widerstand!“ hieß es darauf – eine empfindliche Störung der Gedenkandacht zum 67. Jahrestag des gescheiterten Hitler-Attentates vom 20. Juli 1944.
Die Garnisonkirchen-Kapelle mit ihrer jungen Pfarrerin Juliane Rumpel, die Kirchengemeinde Bornstedt mit der Pfarrerin der Nordgemeinden Anke Spinola sowie die Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche hatten zum Gedenken eingeladen. Die wenigen kirchlichen Insignien waren in dem schlichten Raum vor etwa 70 Anwesenden aufgestellt: der originale Feldaltar mit zwei brennende Kerzen in vergoldeten Schinkel-Leuchtern, dem Nagelkreuz von Coventry, Bibel und Blumenschmuck. An der Wand informierten Projektionen mit Zitaten und Abbildungen von Gräbern über einige der Verschwörer. „Der sittliche Wert eines Menschen beginnt erst dort, wo er bereit ist, für seine Überzeugung sein Leben einzusetzen“, so ein Zitat von Henning von Tresckow. Die Protestierer, die in den Andachtsraum eindrangen, wurden von einigen Männern mit milder Gewalt hinausgedrängt. Die übrigen Anwesenden verfolgten das Gerangel ruhig; es gab keine lauten Beschimpfungen. „Ich finde, das ist hier keine Ebene, um sich über die unterschiedliche Sicht auf die Geschichte auseinanderzusetzen“sagt eine Teilnehmerin des Gottesdienstes sachlich.
Als Begründung für das Gedenken in der Garnisonkirchen-Kapelle äußern die Veranstalter in der Einladung: „Denn der Gemeinde der Garnisonkirche gehörten auch Soldaten des Infanterie-Regiments 9 der Wehrmacht an. Aus dem Regiment stammten einige der Attentäter vom 20. Juli wie Henning von Tresckow (1901-1944), Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg (1902-1944), Axel von den Bussche (1919-1993) und Joachim von Willisen (1900-1983). Auf dem Bornstedter Friedhof erinnert seit 1988 ein Gedenkstein an Henning von Tresckow und seine Frau Erika. Außerdem liegen zwei Männer des 20. Juli dort begraben, Ulrich Freiherrr von Sell (1884-1944) und Kurt Freiherr von Plettenberg (1891-1945).“
Die insgesamt sechs protestierenden Gedenkgegner, die nach eigener Auskunft dem „Bündnis Madstop“ angehören, postierten sich nach dem Hinauswurf und dem Verriegeln der Kapellentür vor dem großen Fenster. Auf einem Riesenposter war der Kern ihrer Anti-Haltung zu lesen: „Kein Gedenken für Antisemiten und Kriegstreiber!“ Auf dem Flugblatt, von dem sie einen Packen durch das Kippfenster der Kapelle warfen, war über die Verschwörer des 20. Juli zu lesen: „Die Ermordung von Millionen von Slawen und JüdInnen, die Ausrottung der osteuropäischen Intelligenz und die Versklavung der Überlebenden war ihnen nicht nur bekannt, nein sie wurde von ihnen… selbst tatkräftig betrieben und oft ausdrücklich begrüßt.“ Pfarrerin Rumpel über die Verschwörer: „Viele von ihnen waren Christen, die aus christlichen Gewissensgründen nach einem Ausweg suchten.“ (PNN vom 21.07.2011, von Günter Schenke)