POTSDAM / INNENSTADT – Eklat bei der Gedenkandacht für die Hitler-Attentäter des 20. Juli 1944, die gestern in der Garnisonkirchenkapelle an der Breiten Straße abgehalten wurde: Kurz nach Beginn stürmte plötzlich ein junger Mann in den gut gefüllten Raum; drückte den verdutzten Gästen Flugblätter in die Hand. „Sie ehren hier Antisemiten und Kriegsverbrecher“, rief er über die Menge hinweg, während vor der Kapellen-Glasfassade ein gutes Dutzend junger Leute – die meisten sonnenbebrillt; mit Kapuzenpullis – zwei Transparente entrollte. „Preussen bleibt Scheisse; nie wieder Nationalsozialismus“. Schrecksekunde im Raum. Doch dann wurde der junge Mann kurzerhand nach kurzem Gerangel nach draußen befördert.
Der Grund für die Aktion der Gruppe? „Männer wie Tresckow, Stauffenberg, Schulenburg und andere haben den Eroberungs- und Vernichtungskrieg geplant, vorbereitet und geführt. Die Ermordung von Millionen von Slawen und Juden (…) war ihnen nicht nur bekannt, nein, sie wurde von ihnen (…) selbst tatkräftig betrieben und oft genug ausdrücklich begrüßt“, so ein Auszug aus dem Text der Flugblätter, die die Gruppe später noch während der Andacht durchs Oberlicht warf. Gezeichnet: „Bündnis Madstop“. „Wir sind einfach kritische Potsdamer“, beschrieb sich der erste Störer – selbst noch sichtlich aufgeregt – draußen vor der Türe, während der Rest der Gruppe die Transparente an die Kapellen-Glasfront hielt. Nach etwa einer Viertelstunde war die Aktion vorbei. Burkhart Franck, Schriftführer der Fördergesellschaft Wiederaufbau Garnisonkirche (FWG), gab sich später gelassen: „Eigentlich hätte ich so einen Zwischenfall schon zu einem früheren Zeitpunkt erwartet.“ Die Polizei wurde nicht gerufen. Unter den Gästen der Andacht befand sich überraschenderweise auch Linken-Kreischef Sascha Krämer, nicht gerade als Fan des Wiederaufbaus bekannt. „Um etwas beurteilen zu können, muss man sich ein Bild machen“, begründete er sein Kommen. Und zur „Madstop“-Aktion: „Man hätte sie in Ruhe ihre Zettel verteilen lassen sollen. Das ist auch eine Form von Toleranz.“ Teile der Kritik an der Art des Gedenkens könne er nachvollziehen. Krämer: „Diese Art von Geschichtsklitterung, dass Tresckow und Stauffenberg von Anfang an alles wunderbare Demokraten waren – das ist eine Legende.“
Die Andacht selbst, gehalten von Garnisonkirchenpfarrerin Juliane Rumpel und Pfarrerin Anke Spinola, war überschrieben: „Zeugenschaft und Widerstand gestern und heute“. Eher rätselhaft blieb der Umstand, warum Rumpel ausgerechnet den FWG-Vorsitzenden Johann-Peter Bauer in einer Art Frage-Antwort-Einlage zu seinen Erlebnissen mit Zeugenschaft und Widerstand befragte. Anstatt etwa einen so beeindruckenden Zeitzeugen wie den 97-jährigen Pfarrer i. R. Wilhelm Stintzing, auch ein Wiederaufbau-Förderer. Ab 23. Juli wird Rumpel regelmäßig Gottesdienste feiern. Die Störer hatten auf ihrem Flugblatt eine Botschaft hinterlassen: „P.S. Wir kommen wieder.“ (MAZ vom 21.07.2011, Von Ildiko Röd)