Eine neues Internetportal erzählt mit Original-Dokumenten die DDR-Historie der Garnisonkirche. Andere Epochen werden zunächst ausgespart
Es war einer der letzten Versuche, die Sprengung der Garnisonkirche zu verhindern. Am 29. März 1969 schrieb Potsdams evangelischer Superintendent Rolf Stubbe an den Rat der Stadt und beschwerte sich: „Wir sind auf das Äußerte bestürzt.“ In einem persönlichen Gespräch sei ihm zehn Tage zuvor von Potsdams damaliger Oberbürgermeisterin Brunhilde Hanke eröffnet worden, dass ein Beschluss durch den Stadtrat zum Abriss der Garnisonkirche vorgesehen sei – zugunsten einer Straßenverbreiterung. Stubbe übte in seinem Brief an den Stadtrat deutliche Kritik an dieser Entscheidung: „Die bisher vorgebrachten Begründungen für die Beseitigung setzen uns nicht in die Lage, den Gemeindemitgliedern die Notwendigkeit dieser Maßnahme begreiflich zu machen.“
Der verzweifelte Kampf der Kirche gegen den von SED-Chef Walter Ulbricht gewünschten Abriss lässt sich nun wesentlich besser nachvollziehen – anhand von 50 bisher für die Öffentlichkeit nur schwer zugänglichen Original-Dokumenten aus diversen kirchlichen und staatlichen Archiven. Zu finden sind die historischen Papiere samt Fotos und etlichen Zeitzeugenberichten auf einer neuen Internetseite der Stiftung Garnisonkirche Potsdam (SGP), die am Freitag vor Journalisten vorgestellt wurde. Auf dem Portal wird die DDR-Geschichte der 1945 zerstörten und ab Mai 1968 abgerissenen Barockkirche dokumentiert, die bei der Debatte um den Wiederaufbau der Kirche nur eine Randrolle spielt anderem kommen auf dem Portal elf Zeitzeugen zu Wort, darunter Brandenburgs früherer Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD), der 1959 nach Potsdam gezogen war. Als damaliger Kirchenjurist war er von Seiten der Kirchenleitung in Berlin in die Gespräche mit der DDR-Führung über die Zukunft der Garnisonkirche involviert. Im Interview erzählt er, nach der teilweisen Zerstörung der Kirche im Krieg sei in der sich dort bildenden Heilig-Kreuz-Gemeinde eine „wirklich vorbildliche Friedens- und Gerechtigkeitsarbeit geleistet worden“. Bekanntlich will die SGP in der wiederaufgebauten Kirche ein Versöhnungszentrum einrichten.
Eigentlich hatte man sich bereits mit der Stadt verständigt, zumindest den 88 Meter hohen Turm samt einer Aussichtsplattform zu erhalten, so Stolpe. Selbst eine Baugenehmigung sei vorhanden gewesen. Doch maßgeblich sei 1968 schließlich die Entscheidung Ulbrichts gegen das Bauwerk gewesen, wegen „ideologischer Ängste“ und gegen verschiedene Widerstände. Denn nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 habe nach Ulbrichts Ansicht keine Protestbewegung mehr recht behalten dürfen, um weitere Gegenbewegungen zu vermeiden, urteilt Stolpe.
Neben den Dokumenten und Interviews findet sich auf dem Portal ein Planspiel für Schüler, in dem die historischen Debatten über die SED-Entscheidung zum Abriss der Ruine der Barockkirche 1968 thematisiert werden können. Zu finden ist auch der 60-minütige Dokumentarfilm von Kurt Tetzlaff zur Zerstörung der Garnisonkirche – in diesem geht es auch um die umstrittene Geschichte des Gotteshauses vor 1945. Auf der neuen Internetseite wird diese Zeit – die Rolle des Baus als preußische Militärkirche und als Schauplatz der NS-Reichstagseröffnung von 1933 – nur am Rande erwähnt. Dieses Ungleichgewicht begründete der theologische SGP-Vorstand, Martin Vogel, mit zwei Argumenten. Einmal sei der meiste Teil der Fördermittel für das 50 000 Euro teure Projekt von der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur gekommen. Zum anderen sei es das Ziel gewesen, möglichst viele persönliche Berichte von Menschen festzuhalten, die ihre Erinnerungen noch selbst öffentlich machen können, so Vogel. „Das sind die Schätze, die man nur heben kann, solange die Leute leben“, sagte der Historiker Johannes Leicht, der die Arbeit an dem 2011 begonnenen Portal inhaltlich begleitet hat.
Ein Aspekt der Weltkriegsgeschichte der Kirche wird allerdings behandelt – darauf wies der Babelsberger Filmemacher Hans-Dieter Rutsch hin, der die Zeitzeugeninterviews führte. Er berichtet vom Gespräch mit Ursula Weyrauch, die als Kind den Bombenangriff auf Potsdam erlebte. Sie berichtet, ihr Großvater sei pensionierter Pfarrer der NS-kritischen Bekennenden Kirche gewesen – er habe in Potsdam einzig in der Garnisonkirche predigen können. In der Debatte komme dieser Aspekt der Garnisonkirchenhistorie zu kurz, so Rutsch – daher sei dies nun dokumentiert worden. Vogel wiederum sagte, das neue Geschichtsportal sei noch erweiterbar – etwa um die NS-Zeit und weitere historische Abschnitte. Einen Zeitplan für diese Erweiterung gebe es aber noch nicht, dafür müssten erst weitere Fördermittel angeworben werden, so Vogel. (Potsdamer Neueste Nachrichten, 13.12.2014, von Henri Kramer)
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