Familie Schneider ist eng mit Potsdam verbunden, die Töchter wurden in der Garnisonkirche getauft
Bettina Dorothea Schneider war der einzige Täufling am 7. Dezember 1958 in der Heilig-Kreuz-Kapelle zu Potsdam. „Ich erinnere mich, dass viele alte Damen da waren, die sich sehr über das Kind gefreut haben, und dass es hier getauft wurde”, sagt die Mutter, Margot Schneider. Wie diese alten Damen in der Kapelle in dem Garnisonkirchenturm herumstanden, dass hat sich der heute 92-Jährigen tief eingeprägt. Anders als bei der zwei Jahre älteren Tochter Annette, die ebenfalls in der Kapelle getauft wurde. An diese Taufe hat Margot Schneider keine Erinnerung mehr. Das war im Oktober 1956 und die Familie war gerade erst aus Magdeburg nach Potsdam gekommen – dank Pfarrer Kurt Kunkel, dem Pfarrer an der Garnisonkirchenkapelle, die 1949 in Heilig-Kreuz-Kapelle umbenannt worden war.
„Mein Mann, der bei der Evangelischen Kirche der Union in Berlin gearbeitet hat, bekam für Berlin keine Zuzugsgenehmigung”, erklärt die gebürtige Berlinerin. Zunächst wohnte er illegal bei Familienangehörigen in Berlin. Doch das war natürlich nichts auf Dauer, und deshalb stellte die Kirche ihm ein Zimmer an der Friedenskirche in Potsdam zur Verfügung. Die Frau und die beiden Söhne blieben noch in Magdeburg. Pfarrer Kurt Kunkel war es, der dann für die Familie Schneider eine Wohnung in der Kiezstraße organisierte, die leer stand und im Kircheneigentum war. So konnte 1956 Helmut Schneider seine Frau, die beiden Söhne und die kleine – noch nicht getaufte – Tochter nach Potsdam nachholen. Bettina, die Jüngste, ist erst in Potsdam geboren. Die Kiezstraße gehörte zum Heilig-Kreuz-Gemeinde-Bezirk, so dass die beiden Töchter in der Garnisonkirche getauft wurden. „Natürlich gingen wir auch regelmäßig in die Gottesdienste in der Kapelle, an die ich mich deshalb so gerne und gut erinnere, weil sie Pfarrer Kunkel hielt. Ich hörte die Predigten gerne, sie gefielen mir”, sagt Margot Schneider rückblickend, auch ihr Mann habe Pfarrer Kunkel sehr geschätzt.
Pfarrer Kurt Kunkel gehörte der Bekennenden Kirche an. Geboren 1909 in Westpreußen, war er vorübergehend in Berlin-Dahlem tätig, bevor er als theologischer Mitarbeiter im Präsidium der Bekenntnissynode nach Bad Oeynhausen ging. Als Pfarrer kam er 1936 nach Potsdam. 1937 wurden in Potsdam zunehmend Mitglieder der Bekennenden Kirche verhaftet. Auch Kurt Kunkel, der in der Heilig-Geist-Kirche eine Kanzelabkündigung gegen das am 9. Juni 1937 vom Reichsinnenminister und vom Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten erlassene Kollektenverbot für die Bekennende Kirche verlas. Nach der Bekanntgabe von Kunkels Verhaftung ließ Anni von Gottberg auch an der Friedenskirche eine Kollekte für die Bekennende Kirche sammeln und wurde ebenfalls verhaftet. Kurt Kunkel war von 1938 bis 1951 Leiter des kirchlichen Erziehungsamtes für Brandenburg, später wurde er Konsistorialrat und Oberkonsistorialrat.
Das normale Gemeindeleben in der Heilig-Kreuz-Gemeinde gefiel Schneiders. Bei allen Widrigkeiten (die Wohnung hatte nur eine Außentoilette) sei es eine schöne Zeit gewesen. Doch die Wohnung in der Kiezstraße war zu klein. Eine Wohnung im Pfarrhaus in der Burgstraße wurde frei, die Familie zog 1961 um. Damit verließ sie auch den Kirchensprengel der Garnisonkirche und gehörte fortan zur Heilig-Geist-Gemeinde. „Mein Vater war ein sehr korrekter Mensch, ein treuer Kirchenbeamter”, sagt Bettina geb. Schneider, den die Sprengung der Garnisonkirche mit der eingerichteten Kapelle im Turm sehr erschüttert habe. Das habe ihn lange beschäftigt. Die innere Verbindung zur Garnisonkirche blieb. Auch hatte er mehrmals Aufnahmen von der Kapelle und der Kirche gemacht, die in Thüringen entwickelt wurden, dort machte die Familie öfter Urlaub. Die Bilder haben Frau und Kinder bis heute aufbewahrt. „Potsdam war schön”, sagt Margot Schneider, und sei es wieder. Regelmäßig besucht sie die Tochter Annette, die nach wie vor in der Wohnung in der Burgstraße wohnt, die 20 Jahre lang das Zuhause der Familie Schneider war. Margot und Helmut Schneider und ihr Mann verließen die DDR 1981. Da war Tochter Bettina schon nach Westberlin gegangen. Sie zogen nach Lichterfelde und wohnten dort bis 2007. Seitdem wohnt Margot Schneider in Berlin-Zehlendorf im Rosenhof. Auch Bettina lebt in Zehlendorf und beobachtet Potsdam von dort aus: „Ja, wenn man in der Garnisonkirche getauft wurde, hat man schon eine Verbindung zu dieser Kirche, die geht nie weg”, sagt sie. Sie selber habe die Sprengung damals nicht so bewusst erlebt, aber die Traurigkeit ihres Vaters, die sei ihr nahe gegangen.
Und natürlich freut sie sich, wenn die Garnisonkirche wieder aufgebaut wird, ebenso wie ihre Mutter, die allerdings sagt, das werde sie wohl nicht mehr erleben. Die 92-Jährige, die am 15. Oktober 93 Jahre alt wird, ist für ihr Alter erstaunlich fit, sie hat ein bewegtes Leben hinter sich. Geboren in Berlin, zog sie mit ihren Eltern als Kind nach Russland, nach Nischni Nowgorod. „Mein Vater verlor in Berlin 1929 seine Arbeit, hatte aber Frau, einen Sohn und eine Tochter zu ernähren. Er erkundigte sich bei einem Bekannten, der im Außenhandel tätig war. Der riet ihm ab, nach Russland zu gehen, wo er Arbeit in Aussicht hatte. „Doch mein Vater ging trotzdem”, erzählt Margot Schneider. Er leitete in einem Werk für Straßenbau, Waggons und später auch Rüstung eine Abteilung als Meister und Ingenieur. Die Familie holte er nach einem Vierteljahr nach. So lernte Margot Schneider russisch, was ihr im Leben später sehr nützlich werden sollte. Es war eine schwere Zeit in Russland, in der ihr Bruder krank wurde und zu Freunden nach Deutschland zurückgebracht werden musste. In dieser Zeit lebte Margot Schneider sogar eine Zeit lang allein in dem fremden Land, sie war damals zehn Jahre alt. Die Eltern kamen zurück, doch irgendwann war es dann unmöglich für Deutsche dort zu bleiben. 1935 sind sie nach Deutschland gegangen, kamen mitten in die Hitlerzeit. „Wir wurden wie Kommunisten behandelt, weil wir aus Russland kamen”, erinnert sich Margot Schneider, die dann Stenographie lernte und in Weissensee Arbeit fand. Als 1942 der Krieg mit Russland begann, wurde der Vater vom Wirtschaftsministerium beauftragt, ein Werk in Russland zu leiten. Margot Schneider wollte auch nach Russland und ging deshalb ins Ostministerium, blieb dort als Dolmetscherin. Ihr dortiger Chef fragte sie dann um 1945, ob sie einen Freund hätte. Er hätte da nämlich jemanden für sie. Es war ihr späterer Mann, ein früherer Kollege ihres Chefs, den sie am 18. Dezember 1945 heiratete, in Magdeburg, wo er lebte und damals schon bei der Kirche angestellt war. Ihr Chef war früher ebenfalls bei der Kirche. Margot Schneider arbeitete in Magdeburg als Dolmetscherin, bis ihr erster Sohn Michael 1949 geboren wurde. Der zweite Sohn Erhard folgt zwei Jahre später, Annette 1956, Bettina 1958. „Ich wollte eigentlich immer zurück nach Berlin, es war meine Heimat”, sagt Margot Schneider. Ihr Mann habe sie dann überrascht mit seiner Bewerbung in Berlin, ihr vorher davon nichts erzählt.
Die Kreise schließen sich, auch in der nächsten Generation. Einer ihrer Enkel wohnt seit kurzem mit Frau und Kindern in Brandenburg/Havel. „Dort war ich oft als Kind und dann auch später, als wir in Potsdam wohnten, dort lebte mein Großvater, der Vater meines Vaters, später dann meine Tante, mein Onkel, da möchte ich unbedingt wieder hin”; sagt sie und lächelt. Und ihre jüngste Tochter Bettina lächelt auch: „Wir hatten eine schöne Kindheit in Potsdam, spielten in den Ruinen, lernten in der früheren Militärbadeanstalt schwimmen, waren viel auf dem Wasser mit dem Boot und gingen zum Jugendgottesdienst.” Und dann fällt ihr doch noch etwas zur Garnisonkirche ein. „Ich ging damals in die Dortuschule, in die POS, unmittelbar an der Plantage, und ich weiß noch, dass wir frei hatten, weil die Schule zu nah an der Kirche war.” Die Garnisonkirche wurde 1968 gesprengt, da war Bettina 10 Jahre alt. Und doch ist bis heute für sie die Garnisonkirche ein Stück Potsdam. (Potsdamlife, Herbst 2013, von Natalie Gommert)