„Warum hat die Menschheit ihre Lektion nicht gelernt?“, fragte Bertram Althausen in seiner Predigt während des Gottesdienstes zum 67. Jahrestag der „Nacht von Potsdam“. In der Interimskapelle am einstigen Standort der Garnisonkirche gedachten etwa 25 Menschen der Opfer des Bombenangriffs auf Potsdam am 14. April 1945. Der Theologe und frühere Potsdamer Superintendent Althausen, der am Samstag für den verhinderten Stadtkirchenpfarrer Simon Kuntze eingesprungen war, erinnerte an die 1593 Todesopfer des englischen Fliegerangriffs auf Potsdam. 60 000 Potsdamer seien damals mit einem Schlag obdachlos geworden.
Was am 21. März 1933 mit dem „Tag von Potsdam“ begonnen hatte, mündete für die ehemalige Residenzstadt im April 1945 auf todbringende Weise in dieser „Nacht von Potsdam“. Althausen machte unmissverständlich klar, dass es ohne das Entfesseln des Zweiten Weltkriegs durch die Deutschen niemals zu diesem Potsdamer Inferno in der Nacht vom 14. auf den 15. April 1945 gekommen wäre, an das auch das abendliche Läuten der Kirchenglocken in der Stadt erinnerte. Gedenke man heute der Zerstörung deutscher Städte durch die Luftangriffe der Alliierten, werde dabei „gern vergessen“, dass die Deutschen selbst zuvor Städte wie Coventry und Rotterdam mit Bombenhageln überzogen, so Althausen. „Sie säen Wind und werden Sturm ernten“, zitierte der Theologe den Propheten Hosea aus dem Alten Testament.
„Ich habe die Nacht persönlich erlebt“, raunte eine in der ersten Reihe sitzende Frau weithin hörbar gleich zu Beginn des Gottesdienstes Althausen zu. Mit 23 Jahren habe sie in Babelsberg jene Schicksalsnacht überlebt, wird Esther Gamon später, nach Ende des Gottesdienstes, erzählen. Die mittlerweile hochbetagte Babelsbergerin verbrachte ihr ganzes Leben in diesem Stadtteil, zunächst in einem Weberhaus. Später zog die Familie in die Babelsberger Johannsenstraße. Dort wurde Gamon Zeugin des Bombenangriffs auf Potsdam. „Die Wände schaukelten“, als die Bomben fielen, berichtete Gamon von dieser leidbringenden Nacht. Doch ihr Wohnhaus blieb stehen. Bereits drei Häuser weiter seien 15 Todesopfer zu beklagen gewesen. Esther Gamon wohnte noch lange in der Johannsenstraße. In den 1970er Jahren musste sie schließlich aus dem Haus ausziehen. Das Gebäude, in dem sie den Bombenangriff überlebt hatte, wurde für den Bau der Nutheschnellstraße abgerissen.
„Dass ich heute hier stehe, das habe ich dem lieben Gott zu verdanken“, erklärte Gamon den Besuchern mit bewegter Stimme nach Schluss des eigentlichen Gottesdienstes. Schon Althausen hatte zuvor in seiner Predigt vom Gottvertrauen gesprochen, von Lebensmut und Hoffnung in Zeiten größten Leids. Nicht tiefer als in Gottes Hand könnten die Menschen fallen, so Althausen.
Der Pfarrer nannte es verlogen, dass die Deutschen bei allen Friedensbemühungen in den heutigen Konflikten dieser Welt durch die Rüstungsexporte auch noch an diesen Kriegen verdienten. In der Diskussion über Krieg und Frieden sei auch das stark in der Kritik stehende Gedicht von Günter Grass hilfreich, meinte Althausen. „Klare Rede, provokante Gedichte“ seien angesichts der heutigen Kriege stets wichtig. Es gehe ihm nicht darum, sich zu dem Gedicht von Grass zu bekennen oder es abzulehnen. Vielmehr sei es wichtig, sich davon anregen zu lassen, meinte Althausen, ohne dabei den Inhalt des Grass-Gedichts zu kommentieren. (PNN vom 16.04.2012, von Holger Catenhusen)