Man könnte die Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten ja einfach zu den historischen Akten legen: Einmal am Jahrestag – er war gestern – des Frevels gedacht, und das war’s dann auch schon. Die Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche und die Garnisonkirchenstiftung wählen aber bewusst das Breitwand-Panorama. Noch bis zum 30. Mai findet in der Kapelle an der Breiten Straße ein Schülerprojekt mit Diskussionen statt, die auch interessierten Potsdamern offen stehen. Bereits im Kalender vormerkbar: Eine Schülerlesung mit Nikolaus Blome, dem Leiter des Hauptstadtbüros der „Bild“-Zeitung, aus Texten Kurt Tucholskys zum Thema „Meinungsfreiheit versus Zensur“, am 14. Mai von 10 bis 12 Uhr.
Zum Auftakt der Reihe am Dienstagabend war die Kapelle mehr als gut besucht. Zur Anziehungskraft trug sicher das hochkarätig besetzte Podium bei, unter anderem mit Frank Bösch, Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam, dem Medienmanager Walid Nakschbandi, einer sehr eloquenten Humboldt-Schülerin und dem gewohnt pointiert argumentierenden Journalisten Jakob Augstein. Thema des Abends unter der wohltemperierten Gesprächsmoderation der Publizistin Ursula Weidenfeld: „Bücherverbrennung und Zensur: In der Demokratie nie?“
Konsens herrschte auf dem Podium, dass wir heute in Sachen Meinungsfreiheit vergleichsweise im Luxus leben. Erlaubt ist so ziemlich alles, was gefällt. Jakob Augstein: „Sie können sich auf einen Marktplatz stellen und sagen, der Kapitalismus ist Mist. Heute schert es niemanden.“ Andererseits bedeutet dies – als Kehrseite der Medaille – auch allzu oft nur noch trendige Beliebigkeit statt politischem Bekenntnis: „Heutzutage signiert Sahra Wagenknecht ihr neues Buch auf Sylt. Die Muttis in ihren Porsche-Cayennes kommen zum Signieren und gruseln sich ein bisschen.“ Allerdings dürfte gerade Augstein in der jüngsten Vergangenheit eigentlich die Erfahrungen gemacht haben, dass nicht alle Äußerungen ins Leere laufen, sondern sehr wohl wahrgenommen werden. Dank seiner kritischen Wertung der israelischen Regierung fand er sich auf der „Top-Ten-Liste der international schlimmsten Antisemiten“ des Simon-Wiesenthal-Centers wieder. Sein trockener Kommentar am Dienstag zu der, wie er sie nannte, „kuriosen Liste“: Es habe sich angefühlt wie in einem „70er-Jahre Trash-Film, wo alle Bösen der Welt vereint sind“. Es wäre interessant gewesen, mehr über diese grenzwertige Erfahrung zu hören, in die er da geraten war. Aber Augstein beschied nur knapp und cool, dass er durch die Platzierung ja nicht in seiner Redefreiheit beschnitten worden sei.
Wie bipolar öffentliche Meinung heute aussieht, skizzierte ZZF-Direktor Bösch: Auf der einen Seite das extrem abgewogene Sprechen der politischen Klasse; auf der anderen die extremen Meinungsäußerungen in Leserbriefen und im Internet, Stichwort: „Shitstorm“. Während obrigkeitsstaatliche Zensur längst Geschichte ist, greife immer mehr die „Selbstzensur“ vieler Medien – mit Blick auf Quotendruck – um sich, wurde auf dem Podium beklagt. Aus dem Publikum heraus kam die flammende Gesellschaftskritik, dass die „Political Correctness“ mittlerweile wie eine Art öffentlicher Zensurkeule funktioniert: „Dass wir aus vermeintlicher Rücksichtnahme nicht mehr das sagen, was wir denken“, kritisierte ein Herr.
Und wo liegt die moralische Grenze? „Die Verbrennung von religiösen Büchern ist in jedem Fall eine Grenze“, fasste Piratenpartei-Politiker Veit Göritz am Ende die Stimmung zusammen. Bemerkenswert und schön an dem Abend war, dass sich so viele Schüler im Publikum befanden. (MAZ vom 11.05.2013, Von Ildiko Röd)