06/25/2011 | BAU: „Potsdam braucht eine Universitätskirche“ – Pfarrer i.R. Wilhelm Stintzing, Jahrgang 1914, hat eine Zukunftsvision für die Garnisonkirche

Er ist einer der wenigen, die noch einen Eindruck von der Garnisonkirche hatten. Wilhelm Stintzing erzählt im Gespräch mit Ildiko Röd über jenen Ort, an dem er konfirmiert

Er ist einer der wenigen, die noch einen Eindruck von der Garnisonkirche hatten. Wilhelm Stint- zing erzählt im Ge- spräch mit Ildiko Röd über jenen Ort, an dem er konfirmiert wurde.

MAZ: Als erstes: Herzlichen Glückwunsch zum bevorstehenden Geburtstag.

Wilhelm Stintzing: Ja, ich wurde am 28. Juni 1914 geboren; am Tag des Attentats von Sarajevo, das den Ersten Weltkrieg auslöste. Am Tag meines fünften Geburtstags wurde der Friedensvertrag von Versailles unterzeichnet.

Nach dem Ersten Weltkrieg sind Sie mit Ihren Eltern aus Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, nach Potsdam gekommen. Was sind Ihre Erinnerungen an die Garnisonkirche, wo Sie sonntags den Gottesdienst besuchten?

Stintzing: Ich erinnere mich noch an den Holzstuhl, den der Soldatenkönig selbst gedrechselt hat: „Wenn meine Soldaten in der Kirche auf Holz sitzen, kann ich das auch“, soll er gesagt haben. Der Stuhl stand bis zuletzt in der Königsloge. Auch der Altar ist – wie bei Calvinisten üblich – nichts weiter als ein ganz schlichter Tisch. Er wird von der „Fördergesellschaft Wiederaufbau Garnisonkirche“ noch heute für Gottesdienste genutzt.

Wie sah die Kirche innen aus?

Stintzing: Eine heute sehr verbreitete Fehlannahme betrifft den Turm. Allgemein geht man davon aus, dass sich dort der Eingang zur Kirche befand. Das ist falsch – die Eingänge waren an den Seiten des Kirchenschiffs. Wäre man durch den Turm hineingegangen, wäre man hinter dem Altar gelandet. Dort gab es eine Krypta für die Särge der Könige. Weil der Baugrund so instabil ist, hatte man diese hoch gelagert. Im Kirchenschiff hingen Fahnen.

Viele Offiziere des Infanterieregiments 9 ( IR9), von denen etliche später auch am Hitler-Attentat beteiligt waren, gehörten zur Kirchengemeinde. Kannte man sich?

Stintzing: Nein, die Garnisonkirche hatte ja zwei Gemeinden: die Zivilgemeinde und die Militärgemeinde. Es gab zwei Pfarrer und zwei Pfarrhäuser in der heutigen Tresckow-Straße.

Traurige Berühmtheit erlangte die Kirche wegen des „Tags von Potsdam“. Deshalb hat der Wiederaufbau Gegner.

Stintzig: Die Nazis waren gerade mal anderthalb Stunden in dieser Kirche! Was kann das Bauwerk dafür? Napoleon, auf dessen Konto schreckliche Schlachten gehen, krönte sich in Notre Dame. Macht das jemand Notre Dame zum Vorwurf?

Was ist Ihre Vision für die wieder erbaute Garnisonkirche?

Stintzing: Früher war es ein Ort der Jugend, weil ja viele junge Soldaten die Kirche besuchten. Auch heute könnte es ein Ort der Jugend sein – als Universitätskirche, die Potsdam fehlt. Man darf diese Kirche nicht rückwärtsgewandt bauen. Mein Traum ist, dass sich hier Wissenschaftler mit Zukunftsthemen beschäftigen. (Von Ildiko Röd, MAZ vom 25.06.2011)

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